Japans Wirtschaftsmaßnahmen verfehlen ihr Ziel

■ Börsenbaisse trotz Konjunkturpaket und Zinssenkung / Handelsüberschuß bleibt

Tokio (taz) – Premierminister Tomiichi Murayama hämmerte den Finanzmaklern ein: „Jede nur denkbare Maßnahme ist in unserem Paket enthalten.“ Schon seit Monaten versuchte die japanische Regierung gegen den Anstieg des Yens anzureden. Sie blieb erfolglos. Am Freitag wurde endlich gehandelt, doch freilich: Die Börse hörte wieder einmal nicht hin. Mit einem in dieser Höhe unerwarteten Kurssturz von 390,90 Punkten auf dem Nikkei-Index quittierte der Tokioter Aktienmarkt noch am gleichen Tag das gestern verkündete Konjunkturprogramm.

Der Nikkei-Index schloß damit die Woche mit 16.047,89 Punkten ab, nur knapp über der psychologischen 16.000-Punkte-Marke, unter der die Aktienrücklagen der ohnehin kränkelnden japanischen Banken keine Gewinne mehr abwerfen. Der versprochene Auftrieb, den das in seinem Umfang als „einmalig“ bezeichnete Regierungspaket bringen sollte, entfällt. Denn ohne eine Börsenkur der Banken werden der Wirtschaft weiterhin die Investitionskredite fehlen.

Dabei hat die Tokioter Regierung alle Kräfte gesammelt: Nicht nur stimulative Fiskalmaßnahmen wurden in Aussicht gestellt, sondern auch eine schnellere Deregulierung des Binnenmarkts. Vor allem aber die Zentralbank zeigte Entschlossenheit: Sie hat gestern den Leitzins von 1,75 Prozent auf das historische Rekordtief von nur einem Prozent gesenkt.

Doch die Regierung wagt sich nicht ans Eingemachte. Zwar hatten die Regierungsparteien bereits versprochen, den Handelsüberschuß innerhalb von fünf Jahren zu halbieren – also genau jenes numerische Ziel zu erreichen, das die Amerikaner seit Jahren verlangen. Doch in der Nacht zum Karfreitag scheiterte das Murayama-Kabinett ebenso wie die Clinton-Administration am Widerstand der mächtigen japanischen Bürokratie: Das Versprechen wurde gestrichen.

Inzwischen sind sich die privaten Marktbeobachter freilich einig, daß hier – beim bisher unerschütterlichen japanischen Handelsüberschuß von annäherend 130 Milliarden Dollar im Jahr – der Teufel begraben liegt. Doch häufen sich auch die Zweifel, ob selbst ein Yen-Kurs von 70 Dollar, den Experten nicht mehr ausschließen, die Exportmaschine stoppen kann. Tatsächlich verfügt Japans Automobil- und Elektronikindustrie über international so weit verzweigte Lieferungs- und Produktionsstrukturen, daß sie von Wechselkursen weitgehend unabhängig operieren kann. Leidtragende des Yen-Hochs sind kleinere Zulieferunternehmen, von denen freiwillig schon immer mehr ihre Produktionsstätten ins billigere Ausland verlagern. Georg Blume

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