Der Völkermord

■ "Mördersuche", Dokumentarfilm, 21.15 Uhr, West3

Eigentlich wollte Jean-Pierre Martin mit seiner Kamera nur eine humanitäre Rettungsaktion der belgischen Blauhelmsoldaten in Ruanda dokumentieren. Nonnen und Krankenschwestern sollten, Anfang April des letzten Jahres, aus dem Krisengebiet evakuiert werden. Unerwartet stellten sich für den belgischen Reporter die Dinge dann anders dar. Genau ein Jahr später sehen wir die Situation vor uns: Da stürzt eine Gruppe verzweifelter Menschen auf die Kamera zu und drängt den Reporter, das Massaker zu filmen, das Hutu- Milizen und ruandische Armee, quasi um die Ecke, systematisch an der Tutsi-Minderheit verüben. Sie flehen die belgischen Elitesoldaten an, ihnen zu helfen und nicht nur die Weißen zu evakuieren.

Malte Rauch und Heimo Claasen haben das wenige existierende Bildmaterial gesammelt, Zeugen interviewt und Spuren verfolgt, um wenigstens die Umrisse dieser Greueltaten zu erfassen. Eine überlebende Lehrerin berichtet, wie die Todeskommandos, einst von der französischen Armee ausgebildet, Handgranaten in eine Menge flüchtender Kinder warfen. Das Massaker in Ruanda, das vor einem Jahr, von April bis Juli, Hunderttausende von Tutsi und oppositionellen Hutu das Leben kostete, war nicht nur ein systematisch geplanter, vorbereiteter und durchgeführter Völkermord. Bestürzend ist vor allem, so sagt der belgische Militärgeistliche Michel Quertemont, daß er „in Anwesenheit und unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand“. Welche Verantwortung gerade die Europäer auf sich geladen haben, erlebt er selbst mit: Er wird zusammen mit der belgischen Blauhelm- Kompanie ausgerechnet in dem Moment aus Ruanda abgezogen, als die Massaker gerade begonnen haben. Offizielle Begründung: „Geldmangel“. Im Vorbeifahren filmen die Belgier Leichenberge auf den Straßen.

Nach dem Abmarsch der UN- Soldaten kann das Morden ungehindert monatelang weitergehen. Authentisches Filmmaterial vom Beginn der Massaker hat man hierzulande bislang nicht gesehen. Denn just an diesem Tag sind die Auslandsreporter der Weltpresse gerade zu den Wahlen nach Südafrika unterwegs. Rauch und Claasen greifen daher auf einen Informationsfilm der belgischen Armee zurück – das einzige Bildmaterial, das den Beginn der Massaker dokumentiert. Wir sehen am Boden kriechende Menschen, denen mit Gewehrkolben und Macheten der Schädel zertrümmert wird.

Im Interview berichtet der Militärgeistliche hinterher, er habe „niemals eine solche Ohnmacht verspürt“ wie in dem Moment, als er mit den UN-Soldaten aus Ruanda abziehen mußte. Flüchtlinge versuchen, den Abmarsch der Blauhelme zu verhindern, indem sie sich vor die Fahrzeuge werfen, er selbst muß ein junges Mädchen zurückstoßen, das sich an dem Rückspiegel seines Minibusses festgeklammert hat.

Die halbstündige Dokumentation „Mördersuche“ macht Zusammenhänge sichtbar, die hierzulande im Fernsehen bislang vernachlässigt wurden. Das verantwortliche Regime des Diktators Habyarimana wurde, so erklärt im Film ein Reporter der französischen Zeitung Libération, noch während der Massaker von der französischen Regierung unterstützt. Als eine der Hauptverantwortlichen für das Massaker gilt Agathe Habyarimana, Frau des Diktators. Als die Tutsi-Guerilla der Ruandischen Patriotischen Front das Regime verjagte, wurde die Chefin des Habyarimana- Clans auf Kosten des französischen Entwicklungshilfeministeriums ausgeflogen. Manfred Riepe