Das Profil der arbeitenden Musikerhorde

■ Robert Johnson, Leroy Carr, Freddy King, Elmore James und Howlin' Wolf – allesamt zur Schulstunde im Stadion versammelt: Eric Clapton spielt den Blues durch

„Darf dat dat?“ – „Dat darf dat.“ – „Dat dat dat darf!“

Dieser alte rheinische Schabernack ging mir durch den Kopf, als ich von schräg oben auf die in silberlila Licht getauchte Bühne sah, linker Hand ein Hallenstadion, besetzt bis in die Ränge. Millionenschwer ist der Mann im weißen T-Shirt, der mit seiner Herzensbrecherstimme die Lieder der Schwarzen singt: Von einem, dem ein Mord angehängt wird, zum Beispiel, und die anderen schrecklichen Geschichten, die dem „Blues“ anvertraut werden, von fehlenden Frauen, fehlendem Geld und fehlendem Glück.

Andererseits: Wer sagt, daß die Schmerzen eines Lebens im Licht der Öffentlichkeit geringer sind als die der Namenlosen? Auch wenn Clapton für den „Davongekommenen“ steht, hat er sein Genie doch an die Grenze der Selbstauslöschung getragen. Zumindest wollen wir dem immer Bekennenden das glauben. Der tödliche Fenstersturz seines Kindes gibt ihm noch nach Jahren diese fast kleistische Heldenhaftigkeit. Soviel also zum Allgemeinen.

Eric Clapton spielte in der Deutschlandhalle ein Set von gut 100 Minuten, die mir vorkamen wie zweieinhalb Stunden: Wir wurden restlos abgefüllt mit Blues. Blues, der in gebärdenhafter Phrasierung Sänger und Instrumente miteinander sprechen läßt; treibenden Blues, dessen Klage in bombastischen instrumentalen Refrains versinkt; und Songs, die zwar noch die klassische Rhetorik des heimkehrenden Motivs aufweisen, aber letztlich musikalische Steppen sind, in denen die Profile der Solisten aufflammen in riesigen Konturen.

Es ist Schulstunde, mit Robert Johnson und Leroy Carr, Freddy King und Elmore James: die Lektion der 94er-LP „From the Cradle“, angereichert durch einige zusätzliche Funde im Fundus. Der Einstieg ist ein akustisches Set mit drei Gitarren (Clapton an der 12saitigen), das erweitert wird durch Mundharmonika, Schlagzeug und ein unglaublich auf schrabbelig getrimmtes – echtes – Klavier. Der aufregendste Augenblick ist der Wechsel ins elektrische Set mit Howlin' Wolfs „Fourty-Four“: im betonten Takt lotrecht niedersausendes Getöse, das durch den Einsatz einer riesigen weißen Pauke im Bühnenhintergrund akzentuiert wird. Schade, daß sie dann verschwindet.

Gitarrensoli wie metallische Fäden

Clapton stellt seine Musiker nicht vor. Daß dieser nach innen lauschende Bassist Dave Bronze ist, bestätigt sich nach Vergleich mit seinem Portrait im CD-Booklet, beim bärtigen Drummer würde ich es ohrmäßig bejahen: Jim Keltner, ein bewundernswürdiger Schlagzeuger, der seine Intuition nicht in der Laut-leise-Dynamik verstaut, sondern eine unablässige technische Präsenz zeigt. Überhaupt haben wir die exemplarische Horde tüchtig strickender Musiker vor uns. Weiße Männer, vom Gang der eigenen Arbeit angetan.

Und kein Trost mit „Layla“ oder so! Reiner Blues, wobei mit den Titeln die Soli länger werden: Claptons metallischer, spiralisierender Faden im soliden Gehäuse gebremster Ekstase. Kurioserweise wirkt der Mann von fünfzig Jahren im geliehenen Material eher zu Haus, als wenn er sich „selbst“ (als Autor) präsentiert.

Ein ganz anderer Musikerschlag sind die besser frisierten Bläser, die rechtzeitig mit ihren schillernden Westen und hupend aufsteigenden Phrasen ein neues Element einbringen: die Show. Die Verschraubung der Lead- und Rhythmusgitarren mit den tiefen Saxophonen und dem Trompetenklang bringt uns vom Tanzschuppen in den Salon – der Sound, von schwebenden Lautsprecherklötzen gestreut, bleibt trotz der Weite des Raums unter Kontrolle. Eins aber funktioniert nie: das Draufhau-Finish berstender Gitarrenakkorde zusammen mit ekstatischen Akkorden der Bläser. Da merkt man doch, wie künstlich die Form ist, in der beides aufgehoben sein soll: der heldische Pop und das Ritual von Gemeinschaft, mit dem wir festgefügte Genres wie den Blues – aber auch Reggae und Big-Band-Jazz – verbinden. Ulf Erdmann Ziegler

24. 4. Frankfurt/M.; 25. 4. Dortmund, Westfalenhalle; 27. 4. München, Olympiahalle