Frühjahrsoffensive in Tadschikistan

■ Blutiger „Waffenstillstand“ zwischen der von Moskau unterstützten Regierung und islamistischen Rebellen

Moskau (taz) – Über zweihundert bewaffnete islamistische Rebellen und 41 russische Grenzsoldaten sind in der vergangenen Woche bei Kämpfen im zentralasiatischen Tadschikistan ums Leben gekommen. Von der UNO vermittelte Gespräche über eine Beilegung des Konflikts zwischen der von Rußland unterstützten Regierung und den Rebellen, die ursprünglich am gestrigen Montag stattfinden sollten, sind auf Mittwoch verlegt worden.

Die tadschikische Opposition hatte militärische Aktionen angekündigt, nachdem ihrer Darstellung zufolge russische Truppen viele Dutzend Kilometer in die umstrittene Bergregion Badachschan vorgerückt waren. Ein tadschikisches Ultimatum verstrich, ohne daß die russischen Grenztruppen ihre neuen Frontstellungen verließen.

Vergangene Woche meldete der afghanische Sender Radio Kabul russische Fliegerangriffe auf die im Norden gelegene Stadt Taloquan. 125 Zivilpersonen sollen dabei umgekommen und 250 verletzt worden sein. Dies bestritt man in Rußland. Im Laufe der letzten Tage fielen 35 Soldaten der vereinten GUS-Grenztruppe, zu denen Kontingente aus Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan gehören. Bis heute agieren russische Grenztruppen im tadschikisch-afghanischen Krieg als anerkannte Konfliktregulierer.

Im Herbst 1994 hatten sich islamische Opposition und Tadschikistans moskautreue Regierung im Teheraner Abkommen auf einen Waffenstillstand geeinigt. Seitdem herrschte „weder Krieg noch Frieden“. Die trügerische Ruhe reichte hingegen, um Präsidenten- und Parlamentswahlen abzuhalten und die Macht der Regierung zu stärken. Die verabredete Rückkehr der Opposition und der Flüchtlinge fand nicht statt, an eine politische Lösung wird vorerst nicht gedacht. Ein Kompromiß scheint entfernter denn je.

Moskau ließ es bisher an einer eindeutigen Haltung fehlen. Als offizieller „peacekeeper“ mußte der Kreml auf Neutralität achten. Das Außenministerium hielt sich an diese Auflage. Die Militärs der Grenztruppe gaben dagegen offen zu verstehen, daß für sie das unter UN-Vermittlung zustande gekommene Teheraner Abkommen keine Gültigkeit besitzt.

Die moskauhörige Führung Tadschikistans unter Präsident Emomalij Rachmanow bringt Rußland mehr Vorteile als eine Koalitionsregierung, die die oppositionelle „tadschikisch-islamische Wiedergeburtsbewegung“ einbezieht.

Auf dem Spiel stehen wirtschaftliche ebenso wie geopolitische Interessen: Die Bergregion mit annähernd vier Millionen Einwohnern birgt reiche Uran-, Edelstein- und sonstige Mineralvorkommen. Auch zwischen der Wiedergeburtsbewegung und den Milizen in Badachschan, die lokalen Warlords und Drogenfürsten gehorchen, herrschen erhebliche Interessendifferenzen.

Präsident Jelzin empfing kürzlich den Chef der russischen Grenztruppen, Andrej Nikolajew, und soll ihm sofortige technische und militärische Hilfe zugesagt haben. Doch Verteidigungsminister Pawel Gratschow, der sich mühselig über das blutreiche Tschetschenienabenteuer hangelte und sich auch ansonsten keine Zimperlichkeit nachsagen läßt, riet zur Zurückhaltung. Dergleichen formulierte der Vizesprecher des russischen Oberhauses, Ramasan Abdulatipow. Er will im Parlament eine Anfrage stellen, ob der Einsatz russischer Truppen außerhalb der Staatsgrenzen überhaupt legitim sein kann.

Rußland zeigt sich überdies beunruhigt, nachdem US-Verteidigungsminister William Perry kürzlich in Zentralasien weilte. Demnächst werden die ersten usbekischen Offiziere in Nato-Trainingszentren fortgebildet, ähnliches könnten sich auch die Nachbarn wünschen. Doch Rußland duldet keinen Konkurrenten in Mittelasien neben sich. Klaus-Helge Donath