■ Die Wahrheit über die Grünen
: „Material für jede Form von Satire“

Die Journalistin Jutta Ditfurth (43) trennte sich 1991 nach zehn Jahren von der Grünen-Partei und gründete mit anderen Ex-Grünen die Organisation „Ökologische Linke“. Von 1989 bis zum März dieses Jahres gehörte sie dem Bundesvorstand der IG Medien an.

taz: Frau Ditfurth, 1987 zierten Sie als „Grüne Verführerin“ den Titel des „Spiegel“, neulich schauten Antje Vollmer und Joschka Fischer als „Grüne Verführer“ vom Titel des Burda-Magazins „Focus“. Zu welchem Gedanken verführt Sie das?

Jutta Ditfurth: Ich grins' mir eins, weil es Focus nötig hat, beim Spiegel eine Dummheit zu klauen. Ansonsten hätte ich mir bei einer Titelgeschichte mehr Substanz und Recherche versprochen. Aber das war wohl die falsche Erwartung ans falsche Magazin.

Was bewegt Sie beim Anblick der grünen Bundestagspräsidentin, wenn sie die Sitzungen leitet?

Ich bin nicht so masochistisch, mir öfter Bundestagsdebatten anzusehen. Und wenn ich reinzappe, dann erinnere ich mich manchmal an die Zeit, als sich Antje Vollmer bei den Grünen noch als Linke ausgab, weil sie dachte, da lägen die künftigen Mehrheiten und die persönlichen Möglichkeiten, bedeutend zu werden. Sie ist eine Deutschnationale mit pseudointellektuellem Sprachcode und hat ein unglaublich unterwürfiges Verhältnis zum Herrschaftsapparat. Ihre größte Sehnsucht und Triebkraft ist es, zum altliberalen Teil des Großbürgertums gehören zu dürfen. Die Arme! Insofern empfinde ich Mitleid.

Antje Vollmer als Glöcknerin des Bundestages, ein grüner Justizminister in Hessen. Aus den Speerspitzen der Bewegung werden Staatsspitzen. Ist das nicht auch ein Triumph?

Für wen bitte? Um sich ihre Altersreproduktion auf extrem hohem Niveau zu sichern, haben sie die grüne Partei nach rechts getrieben. Wenn es nicht so tragisch wäre, daß die Grünen keine emanzipatorisch-ökologisch linke Partei mit gesellschaftlichem Einfluß mehr sind, könnten wir uns nur freuen über dieses reichhaltige Material für jedwede Form von Satire. Daniel Cohn-Bendit lobt Rupert von Plottnitz jetzt schon dafür, daß dieser so „aristokratisch“ ist.

Da gehen bei Ihnen als Ex-von- Ditfurth extra Warnlampen an?

Nicht deshalb. Immer mehr grüne Funktionäre verhalten sich kraß elitär und antisozial. Für das, was bei den Grünen momentan abläuft, ist Schwarz-Grün nur ein oberflächliches Etikett. Da kombiniert sich das ideologische Überzeugungstätertum von ökorechten Denkern mit den technokratischen Ansätzen der machthungrigen Taktiker vom rosa-linken Flügel. Dabei geht es um allseitige Koalitionsfähigkeit.

Das Gerede über Schwarz- Grün wird in der Öffentlichkeit überwiegend als politische Taktik eingeschätzt. Sie sprechen von einer inhaltlichen Option.

Innerhalb der Grünen gibt es von Beginn an rechte bis rechtsextreme Strömungen. Freiwirtschaftler, AbtreibungsgegnerInnen, Deutschnationale und schließlich die Schwarz-Grünen nicht nur aus dem Süden der Republik, die jetzt langsam mehrheitsfähig in der Gesamtpartei werden. Was das inhaltlich bedeutet, läßt sich bei den hessischen Grünen besonders gut erkennen: ökologische Politik, vollständig entleert von der sozialen Frage und vom Antikapitalismus. Soziale Gleichheitsforderungen werden aufgegeben, und der grüne Frankfurter Stadtkämmerer steht für Zwangsarbeit für aufmüpfige Sozialhilfeempfänger. Brutale Abschiebungen von Flüchtlingen sind im rot-grünen Hessen an der Tagesordnung. Flughafenausbau statt Startbahnwiderstand. Und noch ein anderes Beispiel: Frankfurt hätte in der kommunalen Energieversorgung autark werden können – unter Rosa-Grün hat es sich etwa zur Hälfte für die nächsten zwanzig Jahre an den Atommulti Preag verschachert. Das ist die Zwischenstufe zur vollständigen Privatisierung der Stadtwerke, bei der dann endgültig und zu 100 Prozent Atomenergiemultis den Ton angeben. Die grüne Gesamtlinie sieht dann folgendermaßen aus: Statt sofortiger Stillegung aller Atomanlagen, wie einst gefordert, werden Betriebslaufzeiten verlängert – um als Preis dafür mal die eine oder andere klapprige Altanlage abschalten zu dürfen. Damit wird die Option für den Neubau von Atomkraftwerken vorbereitet und die Überbrückung der Wartezeit bis zur Atomfusion organisiert. Regenerative Energieträger sind als Ersatz für AKWs und fossile Energieträger längst aufgegeben.

Was ist denn überhaupt noch grün an den Grünen?

Der Mythos des Grünen als alternativ und unkonventionell wird durch einen schmutzigen Deal mit den WählerInnen aufrechterhalten. Was früher Ausdruck gesellschaftlicher Opposition war, ist heute ein Alibi für die Klientel. Die Wähler wählen grün, spenden für Greenpeace, müssen politisch selbst nichts mehr tun und können sich um die Karriere kümmern. Und die Partei bleibt ein bißchen originell, aber stellt die Übereinstimmung ihrer WählerInnen mit ihrer materiellen Basis, mit den herrschenden Verhältnissen nicht mehr in Frage. So erkauft sie sich die Nichteinmischung in ihre internen Angelegenheiten, kann so korrupt agieren, wie sie will.

Aber politisch gestritten wird innerhalb der Grünen immer noch heftig – beispielsweise über militärische Interventionen in Bosnien.

Der Schein einer Distanz zwischen manchen Positionen ist da ungemein nützlich. Die brisanteste momentane Funktion der Grünen ist zweifellos, daß diese Partei wie keine andere Akzeptanz für Krieg und deutsche Kampfeinsätze schaffen kann. Schritt für Schritt werden diejenigen, die noch nicht an die friedensstiftende Wirkung von Krieg glauben, heimgeholt. Ein kritischer, früher pazifistisch gesinnter und ökologisch angehauchter sowie sozial noch nicht ganz skrupelloser Teil der Mittelschicht kann in den nationalen Konsens eingebunden werden.

Sie rechnen auch Claudia Roth, Ludger Volmer und Jürgen Trittin nicht mehr zur Linken innerhalb der Grünen. Gibt es denn überhaupt noch Linke dort?

Nein. Diejenigen in Amt und Würden, die sich heute als Repräsentanten der Linken innerhalb der Grünen bezeichnen, haben Joschka Fischer geholfen, RadikalökologInnen, Ökosozialisten und linke Feministinnen aus der Partei zu drängen. Es ist eine Fehleinschätzung der meisten Medien, daß Fischer seine Partei fest im Griff hat. Er muß gewaltig aufpassen. Seine Machtposition hängt daran, daß er jede Rechtsentwicklung in der Partei mitmacht. Er hat in zwölf Jahren keine einzige inhaltliche Position gehalten, wenn sie ihm im Weg stand. Er wird eines Tages auch Schwarz-Grün mittragen. Ich bin gespannt auf seine Ausreden. Dann gibt es noch ein paar wohlmeinende Basisgrüne. Weil sie Rathausmandate haben oder umsonst an den Kopierer rankommen, tragen sie letztlich den Gesamtkurs mit. Das macht sie für alles mitverantwortlich.

Wie bewerten Sie die Rolle des Parlaments als Plattform, als Verstärker? Ich denke da an den grünen Abgeordneten Cem Özdemir, der als Mitglied des Bundestages viel mehr Möglichkeiten hat, sich zu äußern und gehört zu werden?

Es kommt doch auch darauf an, was jemand sagt. Cem Özdemir ist ein Biedermann, der stolz darauf ist, daß ihn Vertreter der türkischen Militärdiktatur als Gesprächspartner akzeptieren. Er ist für die Kontingentierung von ImmigrantInnen nach ihrer Nützlichkeit für deutsche Kapitalinteressen statt für offene Grenzen. Ich komme aus der außerparlamentarischen Bewegung vor den Grünen, und meine Einschätzung von Parlament hat sich nicht wesentlich geändert. Wenn unter bestimmten Umständen eine antiparlamentarische Parlamentsarbeit der linken Opposition im Land nützt, der Veröffentlichung ihrer Positionen und der Informationsbeschaffung dient – gut. Aber es ist nur ein Kampffeld und keinesfalls das zentrale.

Den grünen Mühen in der Ebene, bei denen mal ein Umweltticket herauskommt, mehr Fahrradwege, Naturschutzgebiete, Knastreformen oder ein Gleichstellungsgesetz, denen können Sie rein gar nichts abgewinnen?

Was soll ich als Radfahrerin mit einem Radweg, wenn gleichzeitig Hunderte von Autobahnkilometern in Hessen neu gebaut werden? Also Luftvergiftung ungebremst. Was für eine Farce ist ein Gleichstellungsgesetz, wenn die Grünen gleichzeitig die Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 aufgeben? Überall, ganz immanent, die absolute Reformunfähigkeit. Bei der Verschärfung des Verbandsklagerechts haben die Grünen in Hessen gekniffen. Am Frankfurter Flughafen massiver Waldrodung zugestimmt für ein Ersatzwäldchen in weiter Entfernung – sollen wir unsere Lungen hinterhertragen? Daß es den Grünen um ökologische und soziale Veränderungen geht, ist ein Mythos. Wer an ihn glauben will, will ein gutes Gewissen, aber keine strukturellen gesellschaftlichen Änderungen. Es geht um Postenhuberei, um nichts anderes.

Sie schreiben als Journalistin auch für das Magazin „Max“, einen bunten Warenhauskatalog des real existierenden Konsumismus. Ist so was okay für eine Linksradikale?

Ja. Aber es gibt klare Grenzen. Nichts für rechtsextreme Blätter, nichts für Bild. Die haben Rudi Dutschke auf dem Gewissen. Sie hetzen gegen Flüchtlinge. Und nebenbei haben sie sich auch in meinem familiären Umfeld einige Schweinereien geleistet. Was Max angeht: Ich habe dort ausführlich und ohne inhaltliche Beschränkungen einen Artikel über die früheren Nazi-Connections des Ernährungspapstes Dr. med. Max Otto Bruker veröffentlichen können. Das ist selten.

Frau Ditfurth, danke für dieses Gespräch. Interview: Hans-Hermann Kotte