Der Flob im Wandel der Zeit

Efeu, Stacheldraht, Spaghettis und fuderweise Heu und Stroh: Abschied vom Kugelstrauß – Eine kleine familiäre Floristikgeschichte  ■ Von Dorothee Wenner

Als ich neulich meine Mutter in Westdeutschland besuchte, wunderte ich mich nicht schlecht über das, was da auf dem niedrigen Sofatisch stand: mehrfach gewundener, rostiger Stacheldraht auf einer Schieferplatte, umrankt von Efeublättern, Moos, ein paar stengellosen Sonnenblumen und roten Vogelbeeren. Vorsichtig fragte ich nach der Bedeutung der sonderbar ausladenden Tischdekoration und mutmaßte, ob es vielleicht ein nicht abgeholtes Bestellstück der Amnesty-international-Ortsgruppe sein könnte?

Meine Mutter erklärte mir jedoch mit einem leicht pädagogischen Unterton, daß es sich dabei um ein „Flob“ handelt, ein „Floristisches Objekt“, das das Lehrmädchen gerade kreiert hatte. Stacheldraht sei ihr selbst, die sich dem Zeitgeist zum Trotz immer noch als „Blumenbinderin“ versteht, zwar ein eher fremdes Material, „aber so rostig und mit Sonnenblumen kombiniert finde ich's gar nicht schlecht. Und außerdem hat das Lehrmädchen für den Flob eine Eins in der Berufsschule gekriegt.“

Ich verzichtete auf jede weitere Krittelei, wohl wissend, daß mein Geschmack daheim nicht unbedingt als sicher oder gar gut eingeschätzt wird. Außerdem war im elterlichen Blumengeschäft gerade an jenem Wochenende „Tag der offenen Tür“, was eine Menge Streß bedeutet. Nicht nur muß jede Ecke tipptopp aufgeräumt sein, die Leute erwarten auch jedesmal kleine Überraschungen. Dieses Mal wurde „Aktions-Floristik“ geboten, also ein Blick in die Trickkiste der Bindereikunst. Gleichzeitig hing den ganzen Tag über ein ungewöhnlicher Duft über den Vasen und Beeten: Der lokale Mütterverein hatte nämlich den sonntäglichen Massenandrang zu einem karitativen „Waffelbacken für Ruanda“ genutzt, mit Kirschen & Sahne inklusive Soli-Beitrag für 1,50 Mark.

Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich im Laden einen Ständer, an dem armdicke Taue und scheußliche Kordeln mit Bommeln hingen, was mich die sensible Geschmacksfrage wieder aufwerfen ließ. Stacheldraht und Taue wurden nach Feierabend dann zum Anlaß einer kleinen tour d'horizon durch die Höhen und Tiefen des floristischen Gewerbes. „Ich glaube, daß die klassische Binderei wieder im Kommen ist“, meint meine Mutter, „die Leute haben diese knuffigen Kugelsträuße satt, weil sie doch eigentlich viele Schnittblumen in ihrer Form richtig vergewaltigen. Jetzt möchte man auch in der Vase wieder sehen, wie eine Blume von Natur aus wächst.“ Meine Schwester, die vor kurzem erst die floristische Meisterprüfung bestanden hat, ergänzt, daß man diesen Trend auch an den Materialien erkennt, die derzeit gefragt werden.

Fuderweise verarbeiten sie derzeit Heu und Stroh in der Bindestube, was vor einigen Jahren, als eben jeder Bauer in unserem Dorf noch selber Stroh und Heu in der Scheune hatte, schlicht undenkbar gewesen wäre. Aber manches natürliche Gewächs schafft es eben doch nicht, sich zu rehabilitieren, beispielsweise Schilfkolben, die früher in keinem Wohnzimmer fehlten, wende ich ein. „Das ist noch nicht lange genug her und erinnert die Leute an die Möbel, die sie vor wenigen Jahren erst weggeschmissen haben. Was bei uns läuft, was den Leuten gefällt, das richtet sich eben immer nach den Möbeln, die man in Schöner Wohnen sieht“, sagt Dagmar, und meine Mutter ergänzt: „Oder nach der Bettwäsche! Wenn zum Beispiel im Otto-Katalog gerade romantische Röschen-Bettwäsche wiederentdeckt wird, dann wollen alle die dazu passenden Blumen haben.“

Die Orientierung an modischer Inneneinrichtung beschränkt sich dabei nicht nur auf die floristische Seite der grünen Branche, schon der Gärtner richtet sich danach. So werden beispielsweise Begonien je nach Absatzgebiet „gestaucht“, also mit Hormonbehandlung auf die gewünschte, in aller Regel zur Gardine passende Größe geschrumpft. Begonien für den holländischen Markt sind kaum behandelt und vergleichsweise natürlich lang, in Deutschland mag man das Mittelmaß, und die Dänen kaufen vorzugsweise kurze, rundliche Pflanzen.

Zur Petersilienhochzeit was mit Grüngemüse

Selbstredend muß man als Floristin auch viele Trends mitmachen und verkaufen können, die man selbst nicht überzeugend findet. „Da kommt zum Beispiel Frau K. und will für ihre Freundin einen Strauß kaufen, der zu einem italienischen Essen paßt. Dann sucht man krampfhaft nach einer Idee, und irgendwann müssen wir dann Spaghetti zwischen die Tulpen binden. Solche Sachen machen wir andauernd: Sträuße mit Geldscheinen, mit Zuckerstangen, mit Eintrittskarten, mit Golfbällen, mit einem Brillanten oder auch BVB- Sträuße in Schwarz-Gelb. Viele mögen auch kleine Plüschtiere, die drahten wir dann an und stecken sie zusammen mit einer Karte in die Mitte: ,Dem süßen Häschen vom Mäuschen‘ oder so. Und natürlich die ganzen Hochzeitstage: Zur Petersilienhochzeit wird grünes Gemüse in der Tischdekoration verlangt, zur hölzernen Hochzeit besorgen wir uns Sägespäne aus der Schreinerei.“

Mir selbst gefällt aus dieser Serie am besten die sogenannte „Baggerpflanzung“: In der nahegelegenen Kleinstadt gibt es nämlich eine Firma, die Baumaschinen herstellt. Als einmal der Chef Geburtstag hatte, kamen die Angestellten auf die Idee, bei meiner Schwester eine kleine Miniaturbaustelle mit winzigen Koniferen, Wacholder, ein paar Kieseln, Sand und Sellaginella zu bestellen. „Das kam so gut an, daß die jetzt bei jeder Gelegenheit so'n Ding als Werbegeschenk bestellen. Mittlerweile weiß ich auch schon, wie die Schaufeln der Bagger genau stehen müssen. Und auf die Rechnung schreib' ich nur noch: ,1 Baggerpflanzung.‘ Fertig!“

Als Floristin muß man sich mit einer ziemlich miserablen Bezahlung zufriedengeben (weswegen es ein traditioneller Frauenberuf ge

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blieben ist) und in aller Regel auch noch viele Überstunden zu Ostern, Advent, Muttertag, Allerheiligen und so weiter leisten. Dennoch bietet der Alltag im Blumengeschäft ein beachtliches Maß an Abwechslung und Unterhaltung. Besonders in Dörfern und Kleinstädten ist der Blumenladen die Kommunikationszentrale schlechthin: Hierher kommen die Witwen und Erben auf geradem Weg aus dem Bestattungsunternehmen, die Bräute und Schwiegermütter in spe, die neu Verliebten und frischgebackenen Väter und so weiter.

Es erfordert einiges Takt- und Fingerspitzengefühl, in diesen häufig emotional extremen Situationen diskret, teilnahmsvoll und nicht zu geschäftstüchtig zu wirken. „Diese Rote-Rosen-Männer, die erkenn' ich schon, wenn die nur zur Tür reinkommen“, behauptet meine Mutter. „Die schämen sich meistens zu sagen, was sie wollen, und dann frage ich zuerst: ,Soll's was Persönliches sein? Was Rotes vielleicht?‘ und ziehe eine rote Rose aus der Vase, dann braucht er nur noch die Zahl sagen!“

Wenn ein Liebesverhältnis dann offiziell geworden ist und der Bund fürs Leben geschlossen wird, ändert sich automatisch auch das Kaufverhalten. Zwar verlangt die Etikette eigentlich, daß sich der Bräutigam um das Bukett kümmert, doch in der Praxis läuft es anders. Meist kommt die Braut, flankiert von Mutter, Schwiegermutter und anderen weiblichen Verwandten zu einem Beratungsgespräch. Mit einer Stoffprobe in der Hand wird dann mit Hilfe von Fachbuchfotos eine Art Phantomstrauß komponiert, der mit den jahreszeitlichen Blütenvorgaben auf die Körpergröße der Braut, ihre Haarfarbe und ihr Kleid abgestimmt wird.

Weil ja an diesem schönsten Tag des Lebens alles perfekt sein muß, schrecken die meisten Menschen vor Experimenten zurück. Allerdings stellen sich zuweilen eventuelle Tücken des gewählten Blumenschmucks erst im nachhinein heraus. So geschehen im letzten Herbst, als eine Braut sich für eine rote Schleife im Strauß entschied. Als man sich vor der Kirche zum Hochzeitsfoto aufstellte, regnete es in Strömen und die Schleife färbte ab, was wegen der roten Farbe besonders peinlich war.

Aus Floristenperspektive sind Beerdigungen ein vergleichbar heikles Terrain. „Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke, wie wir einmal die Blumen zur falschen Beerdigung gebracht hatten und die ganze Familie schon auf dem Weg zur Trauerfeier war und der Sarg noch ohne eine einzige Blume in der Leichenhalle stand! Zum Glück passiert so was ja eher selten. Das Schöne an unserem Beruf ist ja, daß wir ganz oft sofort eine Bestätigung bekommen, wenn den Leuten ein Strauß gut gefällt. Am tollsten fand ich aber immer noch unsern Schützenkönig. Der kam einen Samstag rein und sagte: ,Machen Sie mir mal zwei richtig tolle Sträuße!‘ Dann hat er beide bezahlt und mir einen davon geschenkt. Was Besseres kann einer Floristin doch gar nicht passieren!“