Serbenführer suchen Sündenböcke

■ Angesichts der jüngsten Erfolge der bosnischen Armee klagt der serbische General Mladic über unzureichende Unterstützung durch die Bevölkerung / Serbenchef Karadzic beschuldigt dagegen Belgrad

Wien (taz) – Das Ritual ist altbekannt: Wann immer die bosnischen Serben auf dem Schlachtfeld in Bedrängnis geraten, droht deren Führer Radovan Karadžić mit einem „totalen Krieg“. In den vergangenen Tagen scheint die bosnische Regierungsarmee vor allem in der Region Tuzla und im Pozavina-Korridor entlang der Drina- Tiefebene beachtliche Geländegewinne auf Kosten der Serben erzielt zu haben – für Karadžić ein Anlaß, eine serbische „Frühjahrsoffensive“ anzukündigen. Zusammen mit seinem Oberkommandierenden Ratko Mladić besuchte der Serbenführer am Montag die vordersten Frontkämpfer in den Bergen von Sarajevo und erklärte einmal mehr: „Ich befürchte, der Augenblick ist gekommen, den Feind endgültig zu zerschlagen.“

Das Besondere an der Visite war für Beobachter somit weniger die Ankündigung Karadžićs. Überraschend war vielmehr das gemeinsame Auftreten der beiden Serbenführer kurz nachdem es erneut Spekulationen über eine Spaltung der Pale-Führung gegeben hatte. Kommentatoren in Zagreb und Sarajevo behaupten schon seit längerem, der serbische Gegner sei durch interne Führungsquerelen so stark gelähmt, daß eine Großoffensive derzeit nicht zu erwarten sei.

Als jüngsten Beleg für die These von einem Zerwürfnis zwischen den beiden Serbenführen werteten die Beobachter eine zweieinhalbstündige Rede Mladićs, die dieser am Ostersonntag bei einer nichtöffentlichen Sitzung des bosnischen Serbenparlamentes hielt. Dabei machte der General fehlende Finanzmittel und die unkooperative Haltung der eigenen Bevölkerung für die Vormärsche der bosnischen Regierungsarmee verantwortlich. Zwei Tage zuvor hatte Karadžić seinerseits vor den Abgeordneten eine Umstrukturierung innerhalb der Streitkräfte angekündigt, um die Schlagkraft der Truppe auszubauen.

Beide Aussagen lassen sich jedoch auch in bezug auf die mangelnde Unterstützung aus Belgrad interpretieren. „Wenn uns Serbien nur unsere Deserteure ausliefern würde“, so Karadžić, „dann könnten wir den Krieg in drei Monaten beenden, so brauchen wir viel länger.“ An anderer Stelle räumte der bosnische Serbenführer ein, er verfolge einen anderen Weg, um die „Vereinigung aller serbischen Länder“ durchzufechten, als sein politischer Ziehvater Slobodan Milošević.

Der Serbenpräsident hat sich mit Karadžić schon vor mehr als einem Jahr in einem persönlichen Disput überworfen. Im Sommer 1992, als es zu einer Spaltung der Karadžić-Partei in Pale gekommen war, aber auch im September 1993, als in der Region Banja Luka offene Unruhen ausbrachen, sahen manche Beobachter dessen Tage als gezählt. Doch Karadžić hielt sich im Sattel, und es gilt als sicher, daß Milošević die militärische Unterstützung für die bosnischen Kampfgenossen trotz aller kleinen und größeren Unstimmigkeiten nie ganz einstellen ließ. Noch kann Milošević auf seinen brillanten Kriegsstrategen Karadžić nicht verzichten.

Aber auch an Stelle von Mladić einen neuen Oberbefehlshaber zu ernennen, wäre ein gewagtes Spiel. Unter seinem Kommando eroberten die Serben immerhin ein Viertel des kroatischen Territoriums und halten sie etwa 73 Prozent von Bosnien besetzt. Karl Gersuny