Eine Petition an den Bundestag fordert die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Bündnisgrünen bereiten ein entsprechendes Gesetzesprojekt vor. Warum es sinnvoll ist, den Mordparagraphen zu reformieren Von Julia Albrecht

Bis an das Ende des Lebens

„Lebenslänglich“ ist die zwingend vorgeschriebene Strafe bei Mord. Der Buchstabe des Gesetzes ist eindeutig. Zeitlich begrenzte Strafen existieren bei Mord nicht.

Dennoch hält sich beharrlich die Auffassung, daß es „lebenslänglich“ gar nicht gibt, daß zwischen Gesetz und Realität eine Lücke klafft. Kein Wunder: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat 1977 entschieden, daß die lebenslängliche Freiheitsstrafe nur dann verfassungsgemäß sei, wenn der oder die Betroffene prinzipiell die „Chance“ hat, „je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“. Die Widersprüchlichkeit des Urteils ist klar: An der lebenslangen Freiheitsstrafe soll mit der Maßgabe festgehalten werden, daß sie nicht notwendig lebenslang vollstreckt werde.

Bis heute hat der Gesetzgeber diesen Widerspruch nicht aufgelöst.

Eine im Februar eingereichte Petition des Komitees für Grundrechte und Demokratie zur Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe hat in wenigen Monaten zwar rund 1.000 Unterschriften zusammengebracht. Vereinigungen von Anwälten, Richtern und Staatsanwälten, auch Psychologen und kirchliche Organisationen unterstützen die Forderung. Der Gesetzgeber allerdings bleibt bisher taub und stumm.

Die Petition soll darum die Mühlen der Gesetzgebung beschleunigen. Auf der politischen Bühne wollen die Bündnisgrünen noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf vorlegen. Die Petition wird dem Bundestagsausschuß am 15. Mai wieder vorgelegt und liegt zur Zeit zur Stellungnahme beim Justizministerium.

Der Gesetzgeber hat auf die Forderung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes noch nicht ernsthaft reagiert. Statt dessen hat er 1982 die Voraussetzungen für eine mögliche frühere Entlassung normiert. Nach Paragraph 57a Strafgesetzbuch (StGB) wird eine lebenslängliche Freiheitsstrafe dann zur Bewährung ausgesetzt, wenn: 1. fünfzehn Jahre bereits vollstreckt wurden und 2. „nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet“.

Was bedeutet diese sogenannte Schuldschwereklausel? Das weiß niemand so genau. Denn wie bemißt man die Schwere der Schuld? Wie schwer wiegt wessen Mörders Schuld? Bringt jener mehr auf die Wage, der „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“, oder jener, der aus „Habgier“ mordet?

Anhand solcher Beispiele wird schnell klar, wie wenig handhabbar die Schuldschwereklausel ist. Sie legt den Konflikt zwischen der nach wie vor existierenden lebenslänglichen Freiheitsstrafe und der Forderung nach möglicher Entlassung in die Hände von Richtern. Auch hat die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nicht dazu geführt, daß die Strafe für den einzelnen abschätzbar wird. Das aber war die Forderung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1977. Noch immer sterben rund sechs Prozent der Lebenslänglichen in der Haft. Seit Einfügung der Schuldschwereklausel 1982 ist die durchschnittliche Verbüßungsdauer auf rund 20 Jahre angestiegen. Davor lag sie, wegen der großzügiger praktizierten und allein möglichen Begnadigungspraxis, bei 16 Jahren. Auch ist die Zahl der lebenslänglichen Urteile um 13 Prozent angestiegen, bei gleichzeitigem Rückgang (minus acht Prozent) der Tötungsdelikte. „Wahrscheinlich verlor die lebenslange Freiheitsstrafe durch die Einführung der gesetzlichen Strafaussetzungsregelung ihren Schrecken und senkte bei den Schwurgerichten die Hemmschwelle“, so der Kriminologe Hartmut-Michael Weber*. Viele scheinen etwas damit anfangen zu können, daß der Töter mit dem Tod oder zumindest bis zum Tod bestraft wird. Das alttestamentliche Auge um Auge, das Prinzip des spiegelbildlichen Strafens scheint noch immer bedeutungsvoll zu sein.

Das ist nicht lächerlich. Die Frage ist nur, ob es vernünftig ist.

Ob es einer zivilisierten Gesellschaft ansteht, ihre Rachegelüste in Gesetzen zu manifestieren und diese dann mit wohlfeilen Begründungen zu legitimieren. Zum Beispiel damit, daß es wegen zunehmender Kriminalität der äußersten Strafandrohung bedürfte. Oder damit, daß die Gesellschaft noch nicht so weit sei, Liberalisierungen im Bereich von Tötungsdelikten mitzutragen. Ginge es nach den Vorstellungen der Mehrheit, wäre die Todesstrafe längst wieder eingeführt. Mit der Abschaffung von Höchststrafen, mit der Eingliederung von Straffälligen in die Gesellschaft sind in der Tat keine Wählerstimmen zu machen. Aber auf die Dauer vielleicht mit rationalen und nicht nur an Popularität orientierten Entscheidungen.

Das moderne Strafrecht geht von dem Grundsatz der Resozialisierung aus. Dieser Strafzweck ist bei der lebenslangen Freiheitsstrafe schon begrifflich nicht gewährleistet. Bedenkenswert auch die Schäden an Leib und Seele. Die Bediensteten in den Gefängnissen wissen, wie schnell die Fähigkeit, sich als normales Subjekt einer Gesellschaft zu bewegen, verloren geht. Die meisten Langzeitstrafler haben schon nach wenigen Jahren Angst, sich wieder nach draußen zu wagen. Ein Justizbediensteter aus Berlin: „Wenn wir einen ausführen, der schon zehn Jahre gesessen hat, dann ist es nicht etwa so, daß wir aufpassen müssen, daß der abhaut. Sondern der schaut sich ständig um, damit ich nicht abhaue. Der hat Angst.“

Auch der Hinweis auf die Generalprävention hilft nicht weiter. Es ist nicht belegbar, daß die Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe einen Täter eher von einem Mord abhalten kann als eine zeitlich begrenzte. Auch den Hinterbliebenen der Opfer nützt die unbeschränkte Strafe nichts.

Eine Überarbeitung der Paragraphen wäre einfach. Simpel wäre eine Reform, die neben der lebenslänglichen Freiheitsstrafe zumindest auch eine zeitlich begrenzte zuließe. Sinnvoller wäre es aber, sich mit dem Totschlagsparagraphen und einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe zu begnügen.

Noch haben sich die Regierungsparteien nicht gerührt. Nicht einmal die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die eine Überarbeitung der Tötungsdelikte angekündigt hat, will sich im Moment zu diesem Thema äußern. Warum nicht?

* Aus einem Beitrag in dem Aufsatzband „Lebenslange Freiheitsstrafe, ihr geltendes Konzept, ihre Praxis, ihre Begründung“, Hrsg: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bonn