Charm, charm, charm!

Schießen Sie auf den Autor: In Woody Allens „Bullets over Broadway“ roaren die Twenties. Hähnchen verschwinden, der Central Park leuchtet und die Depression ist vorbei  ■ Von Mariam Niroumand

Der Start von Woody Allens Shtickl „Bullets over Broadway“ trifft fast auf den Tag mit dem Erscheinen von Art Spiegelmans Jazz-Age-Comicband „Das wilde Fest“ in Deutschland zusammen. Des postmodernen Entfleuchens zuverlässiger Subjekte offensichtlich überdrüssig, haben sich die beiden ins Vaudeville und den Holzschnitt gestürzt, zurück in die Zeiten, als ein Gangster noch ein Gangster, eine Chorus Line noch gerade und eine Flasche Gin noch verrrrbottten war. Die Roaring Twenties, denen alle paar Dekaden die Ehre einer Retro zuteil wird, erstehen hier wieder auf als die Zeiten von Künstlercafés in Greenwich Village; von einfachen, dem Wechsel der Jahreszeiten und anderen Kleinigkeiten unterworfenen Beziehungskonjunkturen und dem Glanz eben des Broadways, dessen Innenleben Stadtgespräch war: alle, alle gingen hin.

Wir schreiben übrigens auch das Jahr, in dem John Travolta sich auf eine Rolle als Mobster vorbereitet, der aus einem plötzlich zuschlagenden künstlerischen Impuls mit der Mafia ins Filmgeschäft einsteigen will, während draußen in Hollywood Sony um das Überleben seiner Filmstudios bangt. Und schließlich ist es das Jahr, in dem auch Woody Allen selbst von den großen Produzenten in ein Familienunternehmen wechselt: von TriStar zu Sweetland, der Firma seiner Langzeit-Kumpanin Jean Doumanian und seiner Schwester.

In einem vollen Zirkelschluß ist Woody Allen wieder da angekommen, von wo aus er einmal in den Film eingestiegen war: beim Handwerk, bei den schnellen Nummern des stand-up comedian, als der er eine Zeit lang auch im Radio zu hören war (kann uns jemand eine Aufnahme zuspielen? Geld spielt fast keine Rolle). Es setzt Scherze, gute, solide Broadwayscherze aller Genres: Wortspiel, „kommt 'ne Frau zum Arzt“, Sitcom-Versatzstücke, kurze Slapsticks, New Yorker Künstler-Witze („Ich habe das letzte Mal an Neujahr getrunken.“ „Du meinst das chinesische Neujahr“). Das führt dazu, daß auch ein 90er-Jahre-Publikum so reagiert wie das der Twenties, wo sonst immer einzelne Zyniker vor sich hinglucksen, wird man in diesem Film wieder zu den Crowds: Ja, sogar aus der sonst so professionell-abgeklärten Pressevorführung entsteht ein Publikum, und jeder hat einen Liebling unter den Charaktermasken, von dem er dann nachher sagen wird: „Hast du gesehen, wie der reinkam und ein ganzes Brathähnchen in der Tasche hatte?“

Mein Favorit ist der Unsicherheitsfaktor Olive. Die Sache ist die: David Shayne (John Cusack) hat alles drauf, was damals einen schriftstellernden Bohemien ausmachte: den Rotwein und Käse zum Mittag, die Stirnfalten, die wilde Ehe und den armen Produzenten, nur – schreiben kann er nicht. Das trifft sich gut, denn Olive, die Gangsterbraut, kann nicht spielen. Also finanziert ihr Freund, der Mafia-Padrone Nick Valenti (wetten, für den Namen stand der in Europa verhaßte Hollywood-Funktionär Jack Valenti Pate?) sein jammervolles Stück, unter der Bedingung, daß Olive eine wichtige Rolle bekommt. Vor ihrer ersten Begegnung mit dem sensiblen Künstlerchen rät ihr Mobster Valenti in der Originalfassung: „Charm him a little“, woraufhin sie dem völlig verschreckten und unter Übelkeitsanfällen wankenden Shayne öfter und von keinem Gesprächszusammenhang motiviert „Charm, charm, charm“ entgegenbellt, von entsprechenden Lenor-Spülmittel-Handbewegungen begleitet.

Damit nix schief geht, ihr etwa zu viele Zeilen gestrichen werden, setzt Valenti einen Mobster mit in den Probenraum: Es ist Cheech (nicht Mr. Cheech, just Cheech!), gespielt von Chazz Palminteri, den man leider immer mit Joe Mantegna verwechselt. Seine nicht eben wohlgelaunte Anwesenheit erschwert die Proben zunächst nur unwesentlich. Denn da sind schon die gefallene Diva Helen Sinclair (Dianne Wiest, nach diesem Film reif für ein Remake von „Sunset Boulevard“), Tracy Ullman als Eden Brent, eine klassische Hysterika mit einem mißmutigen Chihuahua auf dem Arm – eine Kombi, bei der man nicht weiß, wen man zuerst würgen möchte („Braucht der Hund vielleicht etwas Milch?“ „Oh nein, ich stille ihn noch. Just kidding, hihi!“). Warner Purcell, ein Engländer, der zunächst nur heißes Wasser und Zitrone trinkt, später aber leider ganze Tortenböden und Truthahnschenkel zwischen den Zeilen weghauen muß, und entsprechend nur noch von einem fleischfarbenen Korsett in Façon gehalten werden kann. Das sind die Fakten.

Es wird chargiert, geschwärmt, geliebt, wenn auch natürlich Broadway-Style, das heißt, es darf auf keinen Fall etwas wie eine wirkliche Amourette dabei herauskommen: „Shhhh. Sag jetzt nichts. Kein Wort“, ist die Standardparole, die Lady Sinclair für Davids versuchte Liebesbekenntnisse parat hat.

Man hat den Eindruck, der Film blüht. Nach der schwarz-weiß- grauen Depression von „Schatten und Nebel“ oder der Khaki-farbenen Lower East Side in „Ehemänner und Ehefrauen“ explodieren hier rot, grün, lila und gold, wie man sie bei Allen noch nie sah. Gefilmt hat, wie immer, Carlo di Palma. Der Central Park könnte ein Bühnenbild für den Wizzard of Oz sein, man riecht förmlich betörende Hyazinten, mehrere Sträußchen Östrogene sprießen im Gestagen- Hain, aber – „Shhhh. Sag jetzt nichts. Kein Wort.“ Gedreht wurde in einem real existierenden Straßencafé von Greenwich Village, der „Three Deuces Nightclub“ im Ballsaal eines New Yorker Hotels, der Billiardsalon in einem Lagerhaus – bloß kein Studio-Nachbau, New York hat alles, was Woody Allen braucht.

Nur wer die Straße kennt, weiß wie die Menschen sprechen, und so kommt es, daß Cheech, sozusagen als Advocat der siebziger Jahre, von seinem Grollplatz im Probenraum aus in das Stück eingreift, weil er den hirnerweichend prätentiösen Dialog nicht mehr ertragen kann. Er tut die Frauen auf der Bühne zu den richtigen Männern und schreibt schließlich die ganze Chose um. Er ist ein natural. Shayne, ein Faust für Anfänger, lamentiert zunächst noch gegen den Teufelspakt, ist aber später ganz einverstanden. Cheech: „Du schreibst nicht, wie die Leute reden.“ David: „Ich erlaube mir dichterische Freiheiten.“ Cheech: „Dichterische Freiheiten, my ass. Das Publikum glaubt erst, was es sieht, wenn die Schauspieler echt sind. Gib her, ich zeig's dir.“ David: „Willst du's etwa neu schreiben?“ Cheech: „Glaubst du, ich bin ein Vollidiot? Ich habe lesen und schreiben gelernt, bevor ich die Schule angesteckt habe.“ David: „Du hast die Schule angesteckt?“ Cheech: „Ja, aber an Lincolns Geburtstag. Da war kein Schwein da.“

Und so ist es. Wo böse Menschen singen, da laß dich ruhig nieder. Ein richtig gutes Stück und ein richtig gutes Verbrechen sind noch immer die engsten Verwandten. Und wie gut Sheldon Flender wirklich im Bett war, entscheidet die Nachbarschaft.

„Bullets over Broadway“, Regie und Buch: Woody Allen. Kamera: Carlo di Palma. Mit: Jim Broadbent, John Cusack, Chazz Palminteri, Mary-Louise Parker, Dianne Wiest. USA, 1994, 99 Min.