Es ist ein Cartoon

■ Woody Allen, auf Stipvisite in Hamburg, über seinen letzten Film "Bullets over Broadway": "Die Gangster führten damals ein prächtiges Leben"

Höchst selten läßt sich Woody Allen zu Interviews überreden; noch seltener tut er so was in Deutschland. Zum Filmstart seines neuen Films „Bullets over Broadway“ (zur Kritik bitte umblättern) wechselte er von TriStar zu Sweetland, einer unabhängigen Produktionsfirma, die sich sozusagen in Familienbesitz befindet. Darin könnte ein Grund liegen, warum er sich erfreulicherweise zu dem Gruppeninterview in Hamburg bereit erklärte, aus dem Christiane Peitz heute einen Ausschnitt vorstellt.

Mord, Verbrechen und so weiter scheinen Sie mehr und mehr zu interessieren. In fast all Ihren jüngeren Filmen wird gemordet ...

Das hat mich schon immer interessiert. Schon in meinem ersten Film „Take the money and run“ von 1968 war ich ein Bankräuber. Ich bedaure in diesem Film nur, daß ich nicht einer der meistgesuchten Verbrecher Amerikas bin. Ich habe schon als Kind alles über Gangster gelesen. Als ich älter wurde, dachte ich, das sei kein schlechter Beruf, jedenfalls besser als ein langweiliger Bürojob als Versicherungsangestellter oder Immobilienmakler.

Die Vorstellung, ein Bankräuber zu sein, hatte etwas Romantisches, nicht, daß ich Leuten etwas antun wollte, aber Räuber sein wollt' ich schon. Als ich noch ein bißchen älter wurde, dachte ich, es wäre das Beste, ein Betrüger zu werden, ein Hochstapler. Dann wollte ich Spieler werden, ich war sogar ganz gut damals, konnte Kartentricks und mit Würfeln umgehen. Schließlich entdeckte ich, daß ich ein Talent dafür habe, die Leute zu amüsieren, und daraus wurde dann eine ziemlich einträgliche, produktive Karriere. All meine Freunde gingen aufs College, wurden Anwälte oder Ärzte, aber das interessierte mich nicht. Ich wollte etwas Aufregenderes, und Verbrechen ist aufregend.

Warum haben Sie „Bullets over Broadway“ in den Zwanziger Jahren angesiedelt? Aus Nostalgie? Die Geschichte kann nur in den Zwanziger Jahren spielen. Damals gab es die Prohibition, es gab Unmengen von Gaunern und die Gangster führten eine prächtiges Leben, es gab Chorusgirls und Nachtklubs, und die Gangster gingen mit den Chorusgirls, förderten ihre Karrieren und verschafften ihnen Jobs in Shows. Heute gibt es diese Art Broadwaytheater in New York nicht mehr. Es gibt diese schrecklichen Musicals, und die Gangster sind Drogendealer. Heute würde kein Gangster mehr seine Freundin in eine Broadwayshow bringen.

Hätten Sie lieber damals gelebt und gearbeitet?

Es war eine wundervolle Zeit. Man hatte die Wahl zwischen hundert Theatern, und eins stand neben dem andern. Es gab Vaudeville und die Ziegfeld Follies, Kinos, Nachtklubs, die Straßen waren längst nicht so gefährlich. Aber es gab keine Klimaanlagen und kein Penicillin. Man denkt immer, früher war alles besser und charmanter, aber gegen diese Nostalgie spricht, daß es beim Zahnarzt ganz schön weh tat. Die Anästhesie war damals nicht so entwickelt wie heute. Das hätte mir nicht gefallen.

Sie arbeiten zur Zeit ja wieder mehr für die Bühne. Kürzlich haben Sie Ihr altes Broadwaystück „Don't drink the water“ für das Fernsehen adaptiert, und jetzt haben Sie einen Einakter für eine Off-Broadway-Produktion Ihrer alten Freundin Jean Doumanian geschrieben. Warum machen Sie wieder mehr Theater?

Ich arbeite immer viel. Die letzten Jahre waren sehr produktiv. Ich habe „Ehemänner und Ehefrauen“ gedreht, danach „Manhattan Murder Mystery“ und „Bullets over Broadway“, ich habe diese Fernsehgeschichte gemacht und hatte auch noch eine Idee für das Stück.

Ich bin ein Arbeitstier. Mein nächster Film ist bald abgedreht und ich denke schon, auch hier in meiner freien Zeit im Hotel, über den nächsten nach, denn ich möchte im Herbst drehen. Im Winter ist es in New York zu kalt, wir müßten also bis zum nächsten Frühjahr warten, und das wäre mir zu lang.

Ich denke immer über etwas nach. Wenn ich spazieren gehe, überlege ich mir vorher, worüber ich beim Spazieren nachdenke. Ich möchte keine Zeit verschwenden. Wenn man zur Arbeit geht oder zum Arzt oder zu einem Treffen, ist das eine gute Zeit zum Nachdenken und zum Ideen-Entwickeln. Zeit zählt. Ich schaue nicht gerne einfach nur den Vögeln zu.

Sie haben einmal gesagt, wenn Sie nicht in Brooklyn, sondern in Polen oder Berlin geboren wären, wären Sie jetzt ein Lampenschirm. Heißt das, es gibt einen besonderen Grund, warum Sie bisher kaum in Deutschland waren?

Nein, auf keinen Fall. Was in den dreißiger und vierziger Jahren hier geschah, darüber empfinde ich genauso viel Wut und Ärger wie jeder andere. Aber es würde mich nie davon abhalten, nach Deutschland zu kommen oder einen Mercedes zu fahren. Ich halte das nicht für einen angemessenen Ausdruck für den Horror vor den Nazis. Trotzdem, mein Witz, den Sie eben zitierten, stimmt. Ich hatte Glück, daß ich in den Staaten geboren bin. Meine Eltern wären niemals entkommen, sie hatten nicht die Beziehungen und auch nicht den Grips dazu.

Ich möchte gerne einmal durch Deutschland reisen, ich kenne das Land kaum, war zwar mal einen Tag in München, aber noch nie in Berlin. Hamburg gefällt mir. Ich sollte hier filmen, das Licht heute ist wunderbar, es ist genau das Licht, das wir immer suchen. Ich weiß nicht, ob das Licht hier immer so ist oder nur heute, ich liebe es.

Sie sagten in einem Interview, in „Bullets over Broadway“ ist der einzige Künstler der Verbrecher, eben weil er in der Lage ist, schreckliche Dinge zu tun. Müssen Künstler fähig sein, schreckliche Dinge zu tun?

Es gibt ja diesen Satz, daß ein Künstler in der Lage sein muß, seine Kinder zu töten. Das heißt, für einen Künstler darf es nichts Höheres geben als sein Werk. In diesem Sinn bin ich kein Künstler, ich habe nur Talent, und das ist mein Glück. Ich bin damals nach sechs Monaten von der Universität geflogen, weil ich ein schlechter Student war und entdeckte, daß ich Gags schreiben konnte und daß es Leute gab, die diese Gags kauften, für ihre Kabaretts oder für ihre Zeitung.

Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zum Fernseh-Autor. Ich war 19 und verdiente viel Geld. Ich hatte wirklich Glück, denn ohne dieses Talent wüßte ich nicht, wovon ich leben sollte. Ich bewundere die Künstler, aber ich habe diese Bestimmung nicht, dafür bin ich viel zu schlampig. Ich würde ja noch nicht mal nach Tschechien gehen, um „Don't drink the water“ zu drehen, obwohl das natürlich für den Film besser gewesen wäre. Es gibt Dinge, die sind mir wichtiger.

Andererseits sind wir Künstlern gegenüber viel zu großzügig, das ist ja auch ein Thema des Films. Wir vergeben ihnen schreckliche Dinge, weil das, was sie schaffen, so wunderschön ist. Aber es gibt keinen Grund, warum einem Künstler verziehen werden sollte, daß er eine oberflächliche, unehrliche, schreckliche Person ist.

In der McCarthy-Ära gab es wunderbare Künstler, die sich schrecklich benommen haben. Man unterschied immer zwischen Künstler und Mensch. Wenn man nur ihr Werk sah, konnte man denken, sie sind so tiefgründig, so moralisch, so brillant. Aber wenn man ihnen begegnete, waren sie schrecklich. Wir neigen dazu, Künstlern zu vergeben. Deshalb wird der Satz vom Künstler, der sich sein eigenes moralisches Universum schafft, in „Bullets over Broadway“ auch von einem der dümmeren Charaktere ausgesprochen.

Warum übertreiben alle in „Bullets over Broadway“? Selbst die Kamera wirkt manchmal hysterisch.

Weil es ein Cartoon ist, und im Cartoon ist alles größer. Ich wollte, daß es ein lustiger, bunter, unterhaltsamer Film wird, der die ästhetischen Fragen eher leise stellt. Sonst wäre es zu didaktisch und öde geworden.

Man könnte meinen, „Bullets over Broadway“ enthielte eine versteckte Hommage an die „Paten“-Filme von Coppola. Sind Sie ein Coppola-Fan?

Es war nicht als Hommage an Coppola gedacht.

Aber das Stück im Film heißt „Fathers of our Gods“, da denkt man doch unwillkürlich an „The Godfather“.

Oh, das war unbewußt, ich habe es nicht absichtlich so genannt. Aber ich mag die Coppola-Filme sehr, vor allem „Der Pate – Teil II“, das ist einer der besten amerikanischen Filme überhaupt. Es gibt einige amerikanische Regisseure, die ich besonders schätze, außer Coppola noch Scorsese und Altman.

Ihre letzten Filme haben Sie bei großen Produktionsfirmen gedreht, „Bullets over Broadway“ ist eine unabhängige Produktion, die Firma „Sweetland“ wird von Ihrer Freundin Jean Doumanian und Ihrer Schwester Lettie Aronson geleitet. Warum dieser Wechsel?

Ich hatte nie Probleme mit den großen Companies, es gab keinen Grund für einen Wechsel. Aber als meine beste Freundin und meine Schwester eine Filmproduktion gründeten, konnte ich einfach nicht nein sagen. Sie lieben mich, sie wollen mein Bestes und ich möchte ihr Bestes. Es ist eben Familie.

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Man munkelt, Ihr nächster Film wird eine romantische Komödie. Können Sie uns ein bißchen davon erzählen?

Ich kann nur erzählen, daß die Geschichte in New York spielt und daß ich die Stadt ausnahmsweise verlassen mußte, denn ich brauchte ein paar römische Ruinen, und die gab es nicht in New York. Glauben Sie mir, wir haben es versucht, aber es ging einfach nicht. Also haben wir vier Tage in Sizilien gedreht. Ich spiele einen verheirateten Sportjournalisten, der eine Affaire mit einer anderen Frau hat. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, denn ich habe den Film noch nicht gesehen, weiß also nicht, ob er lustig wird oder bittersüß oder lustig anfängt und sich dann anders entwickelt. Beim Drehen habe ich eine Vorstellung von einem Film, aber ich weiß nie, was aus ihm wird.

Wie macht sich das Drehen in Europa?

Es war gut, übrigens nicht das erste Mal. Für „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“ habe ich in Ungarn und Paris gedreht.

In den italienischen Zeitungen konnte man lesen, Ihr größtes Problem in Sizilien seien die Tunnel gewesen. Haben Sie eine Tunnel- Phobie?

Ja, seltsamerweise noch gar nicht so lange. Ich hatte mein Leben lang nie Probleme, durch einen Tunnel zu fahren. Aber eines Tages fuhren wir in Paris in eine Tiefgarage mit einer sehr niedrigen Decke, und plötzlich fühlte ich mich extrem unwohl. Am Anfang hielt ich es für einen Witz, inzwischen hat es sich zu einer größeren Angelegenheit ausgewachsen. Niemand in meiner Familie hat dieses Problem. Eine neuere Theorie besagt übrigens, daß es chemische Ursachen gibt, und daß man es mit Medikamenten behandeln kann, so wie Flugangst oder Klaustrophobie.

Ist ein Tunnel nicht ein bißchen wie ein Kino? Drin ist es dunkel, und vorne wird es hell?

Aber man sieht das Ende des Tunnels nicht die ganze Zeit. Wenn es hell wird, ist es nicht mehr schlimm. Es ist wirklich eine dumme Sache.

Wie fühlt es sich an?

Beklommenheit, Panik. Wie wenn der Aufzug steckenbleibt. Nicht, daß ich Angst hätte, der Aufzug stürzt ab. Aber ich mag es nicht, es ist nicht komisch und kostet mich unglaublich viel Zeit. Wenn ich in ein anderes Land fahre, müssen wir vorher anrufen und herausfinden, ob auf der Fahrt zum Hotel auch wirklich keine Tunnel liegen. Auch bei Dreharbeiten in New York muß ich immer oben über die Brücken fahren. Wenn die Filmcrew sich morgens um acht trifft, muß ich schon um sechs Uhr los, um pünktlich am Set zu sein. Manchmal denke ich, Erfolg führt dazu, daß man solchen Ängsten eher nachgibt. Als junger Mann hätte ich mir gar nicht leisten können zu sagen, ich kann hier nicht entlang fahren. Ich mußte es tun, also fuhr ich durch den Tunnel. Mittlerweile bin ich erfolgreich und kann mir einen Fahrer und Umwege leisten. Angst ist ein Luxus.