"Es gibt nichts geschenkt"

■ Christa Lippmann, Geschäftsführerin des Gesamtbetriebsrats der Deutschen Aerospace (Dasa), bilanziert die Frauenförderpolitik in einem technischen Unternehmen

taz: Frau Lippmann, seit 19 Jahren arbeiten Sie in einem technischen Unternehmen, und im Laufe der Jahre sind Sie eine Spezialistin für Frauenförderung geworden. Wie kamen Sie mit dem Thema in Berührung?

Christa Lippmann: Ende der 70er Jahre wurde ich in eins unserer Werke gerufen, weil sich dort eine Gruppe von Frauen beim damals nur männlichen Betriebsrat beschwerte. Sie kritisierten, daß sie, wenn sie aussteigen und ein Kind großziehen, nur schlecht wieder in die Firma hineinkommen. Sie wollten gerne den Anschluß gesichert haben. Letztlich schlugen diese Frauen damals das vor, was wir heute als Elternerziehungs-Urlaubsgesetz kennen. 1979 wurde eine solche Regelung dann in eine Betriebsvereinbarung gegossen.

War das „Frauenthema“ für Sie ein Thema wie alle anderen, oder hat es Sie selber angesteckt?

Das Thema hat sich mit mir verwandelt und weiterentwickelt. Angefangen hat es mit der Mütterfrage. Dann haben wir auch einige Väter gehabt, die Mutterschaftsurlaub nehmen wollten. Daher konnten wir die Betriebsvereinbarung auf Eltern erweitern. Da ich in einer technischen Firma arbeite, entwickelte sich das Frauenthema für mich hin zum Technikaspekt – daraus entstanden Prokjekte zu Themenkomplexen wie „Frau und Technik“, „Technik ist auch Frauensache“ oder „Mädchen und Technik“. Dann erst habe ich gemerkt, daß das Ganze etwas mit mir zu tun hat, denn ich wollte als junges Mädel einmal Ingenieurin werden.

Wie haben Sie Frauen in technischen Berufen gefördert?

Wir haben angefangen, Mädchen für technische Berufe in einer Facharbeiterinnenausbildung zu gewinnen. In der Flugzeugindustrie existieren sehr anspruchsvolle Berufe, die sich ideal für junge Frauen eignen. Junge Frauen können nicht nur gut montieren, löten oder feinmechanische und feinoptische Arbeiten ausführen. Sie können beides, intellektuell arbeiten und ihre feinmotorischen Fähigkeiten ausüben. Daher sind sie ideale Facharbeiterinnen im Flugzeugbau, als Fluggeräteelektronikerin oder Mechanikerin. Wir haben in Schulen Kurse für Frauen abgehalten, eine Schnupperlehre angeboten und das Arbeitsamt einbezogen. Da lief so ein ganzes Paket „Mädchen und Technik“. Junge Frauen waren sehr interessiert. Sie hatten gute Abschlüsse, so daß wir in den letzten zehn Jahren bis zu 50 Prozent junge Frauen in gewerblich-technischen Berufen ausbilden konnten.

Mittlerweile sind die Zahlen jedoch wieder stark zurückgegangen. Wie kam das zustande?

Seit zwei, drei Jahren gibt es diesen demographischen Einbruch. Dahinter verbergen sich die Wirtschaftskrise und die Rückwendung hin zum traditionellen Frauenberuf und zum Konservatismus, hin zur Sicherheit, zu dem, was schon immer war. Die heutige Generation der jungen Frauen ist nicht mehr so mutig. Sie läßt sich nicht mehr in dem Maße für technische Berufe gewinnen.

Erklärt die Krise schon alles? Welche Rolle spielen die Frauen selbst im Umgang mit ihr?

Viele Dinge konnte man in der Praxis früh ablesen. Auf allen Ebenen wurden die Frauen stark zurückgedrängt und haben sich auch ausgeblendet. Das ist so eine Interaktion. Man kann nicht sagen, die Frauen sind schuld, die Frauen wollen nicht in technischen Berufen arbeiten, die Frauen gehen den leichteren Weg. Man muß auch die Widerstände sehen, die gewaltig zugenommen haben. Angesichts dieser Widerstände sagen sich junge Frauen oder auch Frauen in Führungspositionen dann, was sollen wir uns groß anstrengen, wir bekommen eh keine Chance, dann gehen wir eben in eine Nischenposition.

Sie waren sehr erfolgreich, als es darum ging, Frauen in Führungspositionen durchzusetzen. Auch hier sind die Zahlen wieder rückläufig.

Da hat es sich genauso rapide verschlechtert. Und zwar durch den starken Personalabbau. Wenn der Vorstand entscheidet, zehn bis zwanzig Prozent des Personals sind überflüssig und müssen abgebaut werden, dann reagiert die Personalabteilung entsprechend. Diejenigen, die in diesen Abteilungen arbeiten, gehen dann den leichtesten Weg und suchen sich die schwächsten Glieder der Belegschaft heraus, um die Zahlen zu erfüllen. Und die schwächsten Glieder eines Betriebes sind die Frauen, die Schwerbehinderten, die jungen Frauen und die Auszubildenden. All diese Personengruppen, die bekannterweise sozial als etwas schwächer angesehen werden. Wenn dann eine junge Frau zwei bis dreimal zur Personalabteilung bestellt wird, und jedesmal wird ihr der Abfindungsvertrag offeriert, und jedesmal wird ihr ein bißchen mehr Geld geboten, dann unterschreibt sie irgendwann. Auf diese Weise sind in einem unserer Werke von 88 hochqualifizierten Facharbeiterinnen nur noch vier übrig geblieben. Alle anderen haben sich durch Abfindungsverträge rausdrängen lassen. Natürlich kann man sagen, sie hätten nicht unterschreiben brauchen. Sie wurden ja nicht gekündigt. Niemand hat sie gezwungen. Aber sie haben sich rausdrängen lassen, weil der Druck groß war, und weil sie meist auch in ihrer Familie keine Unterstützung bei ihrem Widerstand bekommen haben. Die Ehemänner sagen meistens: was wirst du dich da herumärgern, nimm das Geld und verschwinde. Ich habe ja Arbeit. Wir haben das gar nicht nötig. Auf diese Weise kriegt man die Frauen leicht raus, weil sich auch die Personalabteilung diese psychologische Konstellation gut vorstellen kann.

Gibt es denn auch Gegenbeispiele, Frauen, die kämpferisch versuchen, an dem festzuhalten, was sie haben?

Ja, gibt es auch. Bloß wenn der Druck, weitere Entlassungen vornehmen zu müssen, stärker wird, drückt auch die Belegschaft. Dann beginnt das Mobbing. Die Kollegen beginnen dann diejenigen rauszudrücken, die als Gruppe stigmatisiert worden sind. Und das sind in der Regel die Älteren und junge Frauen, die einen Mitverdiener haben, also einen Ehemann.

Können Sie dagegen überhaupt noch etwas unternehmen in Ihrer Arbeit?

Wenn die Frauen zu mir kommen, kann ich ihnen Mut und Selbstbewußtsein geben, um Widerstand zu leisten. Aber leider kommen die Frauen meistens zu spät, nämlich dann, wenn sie den Vertrag unterschrieben haben. Dann sagen sie: Ist das in Ordnung? Und dann kann man nichts mehr machen. Die Tragweite einer verbindlichen Unterschrift wird oft unterschätzt.

Zu Beginn Ihrer Tätigkeit gab es keine Frauen in Führungspositionen. Wie viele wurden es im Laufe der Zeit, wie viele sind heute übrig?

Fünf bis sieben Prozent gelangten in unserem Betrieb tatsächlich in höhere Führungspositionen. Mittlerweile ist davon keine mehr übrig. In meinem Berufsleben habe ich diese ganze Spannweite erlebt: von Null bis erfolgreich und dann radikaler Abfall wieder bis Null.

Wie geht es Ihnen damit?

Ich muß schon schauen, daß mich das nicht zu stark berührt. Es macht einen wütend, und frau möchte kämpfen. Es gibt kaum Unterstützung für eine fortschrittliche Frauenpolitik. Dabei wäre sie sehr sinnvoll im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens. Denn Frauen haben Qualifikationen, Zusatzqualifikationen, sind gut ausgebildet, können gut führen, können gut mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen umgehen.

Eigentlich kann es sich dieser Standort Deutschland nicht leisten, so viele Ressourcen zu verschenken und so viele Zukunftschancen einfach in den Sand zu setzen. Ich kann diese Unternehmenspolitik nicht verstehen. Deutsche Manager entscheiden wie Männer, nicht wie Manager. Denn wenn sie wie Manager entscheiden würden, würden sie qualifizierte Frauen fördern und nicht gehen lassen. Die Vorurteile gegen Frauen sind eben doch so massiv, daß sich die vermeintlichen Manager nicht betriebswirtschaftlich entscheiden, sondern ganz billig, wie normale Männer zu Hause im Alltagsleben.

Das sind auch grobe Fehlentscheidungen im Hinblick auf soziale Qualifikationen, die in der Berufswelt von morgen gebraucht und gerade von Frauen mitgebracht werden!?

Wer Personal quantitativ und linear abbaut, spart zwar vorübergehend Kosten, doch langfristig ist das keine erfolgversprechende Strategie. Im Grunde wird dann nur mit weniger Leuten im alten Stil weitergemacht. Wer immer noch keine qualitative Personalplanung betreibt, katapultiert sich früher oder später selbst aus dem Markt hinaus. Wo nur mit Druck Leute herausgedrängt werden, gehen die Sensiblen und die anderweitig Abgesicherten. Das sind aber deshalb nicht die Leistungsschwachen.

Über Kreativität und die Fähigkeit zum vernetzten Querdenken verfügen insbesondere Frauen. Auch wer die herkömmliche Arbeitszeit mit totaler Verfügbarkeit nur ausbaut, ist auf Mißerfolg programmiert. Bei Personalplanung geht es um die optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Um die gewachsenen Erfahrungen und Kenntnisse aller in einem Betrieb zu erhalten, bieten sich kollektive Arbeitszeitverkürzungen bei gleichzeitiger Flexibilisierung an. Im übrigen würden dann auch die außerbetrieblichen Erfahrungen der Männer als Väter deren einseitigen Lebensentwurf erweitern und letztlich auch den Betrieb bereichern.

Wie lautet Ihre Bilanz, wenn Sie an die Möglichkeiten und Grenzen betrieblicher Frauenförderpolitik denken?

Oft wird gesagt, Frauenförderung hat nichts gebracht. So ist es ja nicht. Wo wären wir heute, in dieser Zeit der wirtschaftlichen Krise und des Abwärtstrends, wenn es die Frauenförderung nicht gegeben hätte?

Eigentlich können wir ganz zufrieden sein, dürfen uns aber nicht zurücklehnen. Wir haben etwas erreicht. Wir haben immerhin eine Plattform für Frauen, auf der Frauen sicher ihre Existenz verdienen und von der aus sie auch aufsteigen können.

Natürlich könnten wir weiter sein. Ich glaube, jede Generation fängt momentan wieder bei Null an. So ergeht es jetzt auch den jungen Frauen, die ins Berufsleben eintreten. Die glauben ja, die ollen Pionierinnen hätten alles für alle Zeiten geregelt und sie müßten sich nicht mehr anstrengen. Da kann ich nur sagen: Frauen kämpft. Es gibt nichts geschenkt! Ein zeitweiliger Rückwärtsgang heißt ja nicht, daß es nicht wieder aufwärts geht. Ich bin ganz sicher, wenn die Wirtschaft jetzt wieder anspringt, daß die Frauen dann auch ihre Positionen reklamieren und sich nicht weiter zurückdrängen lassen. Schließlich ist die Mehrzahl besser qualifiziert als die Männer – und außerdem ist der intelligenteste Mensch der Welt eine Frau.

Interview: Mechtild Jansen