Ruandas Regierung greift durch

Die Flüchtlingslager in der ehemaligen französischen „Schutzzone“ im Südwesten Ruandas, wo sich viele Mörder verschanzt haben, sollen offenbar von der Armee gewaltsam aufgelöst werden  ■ Von Bettina Gaus

Nairobi (taz) – Ruandas Regierung hat verordnet, Flüchtlingslager im Südwesten des Landes aufzulösen, die als Bastionen des für den Völkermord verantwortlichen früheren ruandischen Regimes gelten. Eine noch unbekannte Zahl von Flüchtlingen wurde am Dienstag bei der ersten Aktion dieser Art zu Tode getrampelt: Folgen einer Massenpanik, die ausbrach, als Soldaten das Camp von Kibeho südwestlich der Stadt Butare umstellten und in die Luft feuerten. In zielloser Flucht rannten die meisten der 100.000 Männer, Frauen und Kinder in dem Lager auseinander und auf die umliegenden Hügel, nur das bei sich tragend, wonach sie gerade noch hatten greifen können. Die UNO- Mission in Ruanda sprach gestern von zehn Toten.

Die Auflösung der Lager, in denen insgesamt 250.000 Menschen leben, war seit Wochen erwartet worden. Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen hatten im Vorfeld Verständnis dafür gezeigt: „Ich denke nicht, daß eine Regierung, deren Land gerade einen Völkermord mit mehr als einer halben Million Opfer hinter sich hat, es sich erlauben kann, daß Lager weiterhin existieren, in denen sich Täter dieses Völkermords aufhalten“, erklärte im März Paul Howard. Er bemühte sich im Rahmen einer Aktion regierungsunabhängiger Organisationen und der UNO um die freiwillige Rückkehr der Kriegsvertriebenen in ihre Heimatdörfer.

Die Lager im Südwesten Ruandas waren entstanden, als Ende Juni letzten Jahres – nur wenige Tage vor der Eroberung der Hauptstadt Kigali durch die siegreiche Rebellenbewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) – 2.500 ausländische Soldaten unter französischem Kommando in der Region einmarschiert waren und eine „Schutzzone“ errichtet hatten, in der Flüchtlinge vor weiteren Massakern Schutz finden sollten. Damit waren vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit gemeint, gegen die sich der organisierte Völkermord hauptsächlich gerichtet hatte. Aber da Paris jahrelang einer der engsten Verbündeten des alten ruandischen Regimes gewesen war, warfen Kritiker Frankreich vor, mit der Einrichtung der „Schutzzone“ auch denen eine Zuflucht zu bieten, die für die Massaker verantwortlich waren.

Viele ausländische Beobachter sind ebenso wie die jetzige ruandische Regierung davon überzeugt, daß sich in den jetzt von der Auflösung betroffenen Lagern Mörder verschanzt hatten. Aber nicht nur sie haben Angst vor Racheakten der RPF. „Die Armee verhaftet ohne Mandat, und zwar links und rechts, alles, was sich bewegt“, sagt der Mitarbeiter einer ausländischen Organisation, die bisher Kriegsvertriebene im ruandischen Südwesten versorgt hat. „Es gibt auch Berichte, daß Soldaten Frauen vergewaltigen.“ Auch die UNO registriert zahlreiche Menschenrechtsverletzungen: Am letzten Freitag erschossen Militärs ihren Angaben zufolge am Rubyiro-Fluß an der Grenze zu Burundi 16 Zivilisten, nachdem zuvor Unbekannte einen Soldaten getötet hatten.

Viele Bewohner der Camps im Südwesten wollten deshalb bisher nicht nach Hause zurückkehren und weigern sich auch jetzt noch, UNO-Aufforderungen zu folgen und sich in ihre Heimatgemeinden zu begeben. Dabei wäre die Beachtung der Menschenrechte dort relativ leicht zu überwachen: „80 Prozent der Leute in den Lagern kommen aus insgesamt nur elf Gemeinden“, erläutert Paul Howard.

Die Dorfgemeinschaften in Ruanda sind häufig auch bei einer Flucht geschlossen zusammengeblieben. Die alten Strukturen bestehen damit in den Lagern weiter fort. Den Mördern des vergangenen Jahres bieten sie den denkbar besten Schutz. Rückkehrwillige Flüchtlinge dagegen haben es gerade deshalb schwer, dem Druck zu widerstehen, der sie zum Ausharren in den Camps veranlassen soll. Zugleich wächst in ruandischen Regierungskreisen und bei den Überlebenden der Massaker die Verbitterung darüber, daß Hauptverantwortliche für die Massaker nicht einmal im Ausland verhaftet werden.