Deportiert und umgebracht – der erste Völkermord des Jahrhunderts

Am 24. April 1915 um neun Uhr abends zogen türkische Polizisten mit Namenslisten durch Istanbul und verhafteten mehr als 600 Publizisten, Ärzte, Politiker, Priester und Schauspieler. Sie waren die intellektuelle Elite der Armenier im Osmanischen Reich. Nur ein Dutzend überlebte.

Der 24. April – seither Gedenktag für die Armenier in der ganzen Welt – war der quasi offizielle Beginn des ersten Völkermords im 20. Jahrhundert. In den folgenden Monaten brachten türkische Spezialeinheiten, aber auch reguläre Militärs etwa eine Million Armenier um. Heute versucht die türkische Regierung, diese Zahl auf 150.000 herunterzuspielen, doch es war der osmanische Innenminister Dschemal Bey persönlich, der nach der totalen Niederlage im März 1919 verkündete: „Der Regierung ist daran gelegen, eine blutige Vergangenheit aufzuklären. 800.000 Armenier sind tatsächlich getötet worden.“

Die meisten fanden in den ersten Monaten den Tod. Dabei gab es einen Unterschied in der Vorgehensweise gegenüber den Armeniern des Ostens, dem eigentlichen Siedlungsgebiet, und den Armeniern im Westen. Im Osten waren fast alle Aktionen direkt auf Vernichtung ausgerichtet. Systematisch wurden die Wehrpflichtigen in Arbeitsbataillone gesteckt, später entwaffnet und umgebracht. Die Zivilbevölkerung deportierten die Behörden. Die Männer wurden von den Frauen getrennt und umgebracht. Die Frauen und Kinder wurden in Dauermärschen durch Gebiete kurdischer Räuberbanden getrieben. Wasser wurde ihnen vorenthalten. Sie fielen Durst, Hunger und Erschöpfung zum Opfer. Tausende von Deportierten wurden in abgelegene Täler geführt und dort ermordet. Die Täter waren oft entlassene Häftlinge.

Besondes grausam gingen die Schergen mit den etwa 100.000 Armeniern der Mus-Ebene um. Sie wurden in Scheunen getrieben und lebendig verbrannt.

Die Armenier des Westens deportierten die Verantwortlichen in großen Trecks, manchmal auch in Eisenbahnwaggons, nach Aleppo. Von dort aus gingen kleine Züge in Richtung Jerusalem, die größeren in Richtung Mossul. Wer in den Bestimmungsorten ankam, in denen keinerlei Vorsorge getroffen worden war, starb entweder an Hunger oder wurde in Vernichtungslagern erschlagen. Von einem dieser Lager – Ras ul-Ain – berichtete im Juni 1917 der deutsche Beamte der Bagdadbahn, Bruno Eckart. Er habe von den einstmals 14.000 dorthin geschleppten Armeniern „nur noch einige zerlumpte Frauen, eine Schar verwahrloster Kinder und zwei armenische Töpfer“ vorgefunden.

Nur die Armenier der beiden Großstädte Izmir und Istanbul (mit Ausnahme der Intellektuellen) blieben verschont. In Izmir verhinderte der deutsche Kommandant Liman von Sanders die Deportation, in der damaligen Hauptstadt Konstantinopel trauten sich die Behörden offensichtlich wegen der Anwesenheit vieler Ausländer nicht.