Einst edel, heute klassenlos

■ Ein Bremer Buch mit Fußballgeschichten aus England und Deutschland

Elf Herren in englischen Knickerbockern aus Kaschmir, in Hemd und Kragen und vielleicht noch mit Schlips, die dem schwarz-weißen Leder hinterher laufen – können Sie sich das vorstellen? So spielte man im 19. Jahrhundert Fußball, als dieser Sport noch einer der Mittel- und Oberschicht war. Solche Details erfährt man aus dem soeben erschienen Taschenbuch „Alive and Kicking – Fußball zwischen Deutschland und England“, herausgegeben von zwei Bremer Wissenschaftlern und einem Gründungsmitglied des Bremer Fan-Projektes. Alle drei natürlich eingefleischte Fußball-Fans: Werder Bremen, 1.FC Köln, Manchester United. Das buch ist bilingual.

Daß es Frauenfußball um die Jahrhundertwende so gut wie gar nicht gab, erfährt die Leserin in einem Beitrag über Frauen und Fußball in Großbritannien. Dort gab es zwar zum Beispiel schon 1894 – wenn auch nur für kurze Zeit – an der Brighton High School für Mädchen einen Fußball-Club und Anfang des Jahrhunderts einige Frauenvereine, die sich auf Wohltätigkeitsspiele spezialisiert hatten. Doch die öffentliche Meinung war, daß „die einzige Rolle der Frau im Sport darin bestehe, zuzuschauen und zu applaudieren“. Es wurde sogar angenommen, daß Prostitution und die Zurschaustellung des weiblichen Körpers, wie Fußball sie fordert, in Zusammenhang stünden.

Zur gleichen Zeit rollte der Ball schon klassenübergreifend in professionellen Männerligen ins Tor. Schnell hatten sich die proletarischen Männer des Leders bemächtigt. Ab 1885 ist professioneller Fußball in England erlaubt. Damit war für begabte Kicker aus der Unterschicht eine reizvolle Alternative zum Industriearbeiterleben möglich. Drei Jahre später gründete sich als erste Berufsliga der Welt die Football-League. In Deutschland zog man 1900 mit dem Deutschen Fußballbund nach. Von beiden Verbänden war für Frauen wenig Unterstützung zu erwarten.

Schon in den Schulen sind es meist die Jungen, die in den Pausen auf dem Hof kicken. Eine Unterrichtseinheit über Fußball und Identität im Englischunterricht für Mädchen und Jungen dürfte da nicht leicht an die Frau zu bringen sein. Deswegen schlagen die Autoren eine Unterrichtseinheit „We are the Champions“ vor: Zum Einstieg könnte das BBC-Video „Born Kicking“ gezeigt werden, in dem in einem gemischten Fußballteam die 10 auf dem Rücken einer Frau prangt. (Für alle, die es auch noch nicht wußten: die 10 ist die Spielmacherin und damit eine der wichtigsten Figuren auf dem Feld.) Außerdem könnte man in der Klasse reden über die Aufstiegsmöglichkeit für Jungen aus der Unterschicht als Starkicker, Fußball als Zweig der Unterhaltungsindustrie – oder einfach die Faszination Fußball.

Was fesselt so viele Leute an den Sport? Der Cocktail aus überschaubaren 90 Minuten Länge, dem Spiel an der freien Luft, der Möglichkeit, überall nur mit einem Ball zu improvisieren, den einfachen Spielregeln, die aber doch genügend Raum für Gesprächsstoff bieten – dieser Cocktail scheint offenbar attraktiver als jeder andere Sport. Jeder kann über Fußball sprechen, da die Regeln so simpel sind. Und doch gibt selbst ein mittelmäßiges Spiel viel Gesprächsstoff her. Die meisten Sesselkicker schießen weit bessere Flanken als ihre Idole und können jeden derer Spielzüge fachkundig kommentieren.

Finja Kütz

Am 16.Mai werden um 20 Uhr in der Villa Ichon die literarischen Beiträge vorgestellt. Michael Augstin, einer der Autoren, wird anwesend sein.