Weißgestärkte Zipfelmütze

■ Neue Berliner Architektur: Das Türmchen mit Segel am „Kant-Dreieck“ von Josef Paul Kleihues / Ein schickes, aber kastriertes Bürohaus am zugigen Platz

Seit gut einem Jahr hält Berlin jedem Geschäftsreisenden, der sich mit der Eisenbahn der westlichen City nähert, am Bahnhof Zoologischer Garten seine neue Corporate identity der Dienstleistungsarchitektur entgegen: Josef Paul Kleihues' weißgestärktes Büro- und Geschäftshaus mit dem Namen „Kant-Dreieck“. Doch das Gebäude lenkt den ankommenden Blick nicht zuerst auf sein modernes Design und die glatten Fassaden, auf die Materialien aus poliertem Stein, geschliffenem Edelstahl und getönten Glaswänden. Das Auge geht an dem 36 Meter hohen Turm vorbei – wie noch anderes auch an der Dienstleistungscity mit Weltniveau – und hält sich eher an einem eher provinziellen Zeichen fest.

Denn hoch über dem Dach erhebt sich eine riesige Chiffre, die Bauherr und Architekt gerne „das Segel“ nennen. Gemeint ist damit: „Symbol für wirtschaftlichen Rückenwind in Berlin“. Die schändliche Berliner Schnauze indessen trifft es besser und realistischer: Haiflosse oder Zipfelmütze heißen die liebenswürdigen Kosenamen für den Möchtegernturm mit Aluminiumsegel.

Das Haus an der Fernbahnlinie mit seinen rund 8.000 Quadratmetern Nutzfläche für Büros und Geschäftsräume ist dennoch besser als sein Ruf. Kleihues entwarf zwei große geometrische Kästen von strenger Rationalität. Über einer quadratischen Grundfläche mit 18 Metern Seitenlänge erhebt sich der zweistufige Stein- und Stahlturm mit elf Stockwerken. Daneben schließt sich ein dreieckiger Gebäudetrakt mit 18 Metern Höhe an, dessen kurvige Rückwand den Bogen des S-Bahn-Viadukts aufnimmt. Der Bauherr, die KapHag, ließ nicht nur die Fassaden teuer und glitzernd, glatt und marmorn verkleiden, sondern stattete auch die großen Innenräume mit raumhohen Fenstern und eleganten Details aus. Es ist ein Designerstück aus unterschiedlichen Flächen und Höhen, Kuben und Materialien – für Leute, die in der nahen Paris Bar das Abendessen einnehmen.

Doch das Haus wird an einigen anderen Stellen seine Zipfelmütze nicht los. Der Platz vor dem zurückweichenden Gebäude wirkt kalt, leer und unstädtisch – also provinziell. Einen öffentlichen Raum, einen einladenden Ort gegenüber dem Theater des Westens bildet der zugige Flecken nicht. Und erscheint nicht auch der Turm auf merkwürdige Weise unproportional und gedrungen? Ein freistehender „Campanile“ ist das Türmchen ebensowenig wie ein monströses Hochhaus. Aus Angst, ein solches zu erhalten, hatte die Senatsbauverwaltung den Entwurf von Kleihues schlichtweg kastriert und dem Architekten einfach 18 Meter gestrichen. Die Höhe soll das Segel nun auf seine Weise herausholen. Daß aber Zipfelmützen am Werk waren, sieht man. Rolf Lautenschläger