Hausboote in Abendsonne

■ Enervierend vitales Amüsement - Mijke de Jongs Film "Herzzerreißend" enthält dies und jenes, hauptsächlich aber ein Amsterdamer Beziehungsdramolett

Lou (Marieke Heehink) ist alternativ-p.c., wie man so sagt. Sie ist um die dreißig, lebt in einem bunten Hausboot im Amsterdamer Osthafengebiet, singt mal mit dem leicht punkigen, sowohl rauschgiftsüchtigen als auch aidsinfizierten Johnny (Arend van Noord), mal in der multikulturellen Band „East meets West“, und engagiert sich für die Rechte illegaler Flüchtlinge. Außerdem liebt sie Bob (Mark Rietman), einen Rechtsanwalt, der mit seinen Rechtsanwaltsfreunden eine schicke Rechtsanwaltskanzlei betreibt. Während die schlanke Filmheldin rothaarig und spontan durch den Tag eiert, engagiert von einem Meeting zum nächsten pest und das bürgerliche Leben ihres Freundes zum Kotzen findet, denkt Bob an Sicherheit, Hausbau und kleine Kinder.

Aids, Ausländer, Geschlechterprobleme, Lebensstile, die einander ausschließen – an brisanten Themen reich ist Mijke de Jongs Beziehungsdramolett, das 1993 in Locarno ausgezeichnet wurde. Zum ersten Mal seit langem geht es im Film auch mal wieder um einen durchaus realistisch anmutenden Versuch, anders zu leben. Das ist eigentlich schön, denn die sonst im Film üblichen Gegenentwürfe – Serienkiller, perspektivlose Yuppies, sinnkranke HeldInnen der Generation X – nerven inzwischen ja doch irgendwie, doch so recht zu begeistern vermag der Film trotzdem nicht.

Die sommersprossige Lou mit den ungeschminkten Lippen nervt zum Beispiel gerade da, wo sie zur Sympathieträgerin werden soll. Wenn sie lustig und laut singt – natürlich ist sie die Bandleaderin – wenn sie als Standchefin vor einem Stand in Sachen Asylrecht steht, Flugblätter verteilt und vor Fernsehkameras immer das linksopportun richtige sagt (das natürlich richtig ist), wenn sie kundig herumwerkelt mit Flüchtlingen, sensibel mit dem aidskranken Johnny redet und trinkt oder sich enervierend vital amüsiert.

Glücklich ist Lou mit ihrem Leben nicht so recht. Das liegt vor allem daran, daß sie sich ständig mit ihrem Freund streitet. Ihr gehe es in ihrem Engagement doch nur um sich selbst, und „die Flüchtlinge sind doch die Show-Nigger der Amsterdamer Alternativszene“, sagt Bob. Das kränkt sie sehr. Wütend wirft sie ihm sein bürgerlich- selbstzufrieden-unpolitisches Leben vor. Später vertritt er zwar Flüchtlinge, doch das mache er doch nur, um sich zu profilieren, sagt sie. Zwischendurch gibt es Hausboote in romantischer Abenddämmerung.

Kaum mehr als eine halbe Stunde bewegt sich der Film in politischen Problemzonen. Danach können die Flüchtlinge (ein lächelnder Kurde erinnert sehr an Georges Moustaki), die man nie kennenlernte, sehen, wo sie bleiben, wenn sie nicht eh schon abgeschoben oder tot sind. Nun geht's ums Eigentliche, nämlich die konfliktreiche Beziehungsgeschichte zwischen Lou und Bob. Diese Geschichte mag zwar sogar authentisch wirken – wo sie aus Liebessehnsucht oder Enttäuschung ihren genervten Lover zu nerven versucht, indem sie ununterbrochen raucht und laut Chips ißt in seinem Büro, während ihr Freund arbeiten möchte, ist Lou wirklich gut – doch das macht den Film nicht besser. Derlei authentische Beziehungsprobleme, -gespräche, -freuden und -leiden, die die Welt auf eine Zweierbeziehung reduzieren, sind schon in der eigenen Wirklichkeit ätzend; viel mehr noch im Film. Am Ende ist Lou schwanger. Ob sie abtreiben wird oder das Kind kriegt; ob sie zur Hausfrau des Anwaltes wird oder Bob zu ihr ins Hausboot zieht, ist einem so egal wie der Mann und die Frau, die in dem Vorfilm „Still you“ ein emphatisch kunstgewerbliches Liebesballett zur Musik von Dinosaur Jr. aufführen. Detlef Kuhlbrodt

„Hartverscheurend“ (Herzzerreißend) von Mijke de Jong, NL 1993, 85 min., OmU, im Moviemento 3, Kottbusser Damm 22, Kreuzberg und im Klick, Charlottenburg.