Be(i)rate, so gut du kannst

Gucken, bedenken, abwägen, kalkulieren, diskutieren, begründen: Viel Arbeit, wenig Ehr'. Gedanken am Ende dieser Amtszeit des Beirates für Freie Gruppen der Darstellenden Kunst  ■ Von Hartmut Krug

Theater beweist sich vor seinem Publikum. Freies Theater in Berlin muß sich erst vor einem Beirat beweisen. Nicht ob es sein darf wird hier entschieden, sondern „nur“, ob es staatliches Geld bekommen sollte.

Was für freie Theatermacher heutzutage identisch ist: Unterhaltszahlungen des Staates für jeden Spielwunsch seiner jungen Bürger werden erwartet.

Wo Frank Castorf, der mit seiner Volksbühne ein Theater leitet, das in Organisation und ästhetisch- inhaltlichem Anspruch durchaus als das größte und bestsubventionierte freie Theater bezeichnet werden kann, staatliches Geld immer noch als ein gewährtes gesellschaftliches Privileg bezeichnet, da verlangt der völlig freie Theatermacher ganz selbstverständlich die totale Durchsubventionierung seines (künstlerischen) Selbstverwirklichungsverlangens.

Nicht nur das: Hat der freie Theatermacher längere Zeit in Berlin Theater geschaffen, dann verlangt es ihn nicht nur nach staatlichem Geld, sondern auch nach städtischem Dank. Die Optionsförderung ist bei ihrer Einführung vor drei Jahren allen Ernstes auch unter dem Aspekt der Gratifikationsgabe für den bewährten freien Theaterschaffenden gesehen worden ...

Verkehrte Welt in allen freien Theaterbereichen. Denn natürlich ist es auch grotesk, daß nur freie Theatermacher sich mit ihrem „zusätzlichen“ Theaterangebot jährlich neu begründen müssen. Das hat jedoch damit zu tun, daß das freie Theater vor Urzeiten, in den seligen 68er Zeiten, als ein spontanes, projektweise und nicht immer auf Dauer angelegtes Phänomen entstand. Doch das ist Geschichte, verjährt, vergangen. Nur die Politiker bekommen den Schwung der neuen Zeit nicht mit.

Das Hauptproblem des Beirats, oder eines seiner vielen, ist, daß er nach politischer Vorgabe stabile Theaterprojekte fördern helfen soll, ohne es zu festen Theatergruppen kommen zu lassen. Denn die haben wir ja schon, bei den Privattheatern.

Wobei weder bei der Entwicklung der Förderrichtlinien noch bei den Beratungen zur Förderung je klar wurde, ob es einen Unterschied zwischen einem etablierten Privattheater und einem auf Dauer, auf festes Ensemble und eigene Spielstätte eingerichteten „freien Theater“ überhaupt gibt. Außer in der politischen Absicht, keine weiteren „Privattheater“ zuzulassen. Also werden freie Projekte und Ensembles gefördert, indem man keine Ensembles durchfinanziert.

Außer bei den Tanztheatern. Denn die müssen ja als Kompanie das ganze Jahr üben und zusammenwachsen. Sprechschauspieler müssen das anscheinend nicht. Freie Gruppen in Berlin: das sind durch die Förderpraxis meist freie Produktionsgruppen geworden. Die Einführung der Optionsförderung war ein nur teilweise gelungener Versuch, diesen Konflikt zu lösen.

Der Beirat: das omnipotente und zugleich unfähige Gremium. Puffer für die Senatskulturverwaltung, Punchingball für die Interessenvertreter von „Spott“ (dem Büro für freies Theater, d. Red.) und Tanzinitiative, Maßobjekt und Lobby für die freien Theatermacher. Die ihren Beirat selbst gewählt haben. Auf daß er den Senator im Interesse der Gruppen richtig berate. Denn die Entscheidungen, die fällt der Senator, – auch wenn er bisher in allen Fällen den Vorschlägen des Beirates gefolgt ist.

Sieben zusammengewählte Leute ergeben ein Konstruktionsproblem. Denn die verschiedensten Interessen blockieren sich gegenseitig, und die Größe des Beirates, als Arbeitserleichterung (beim aufgeteilten Theaterbesuch) gedacht, erweist sich in der Beratungspraxis als hemmend. So war nach langjähriger Beiratserfahrung unstrittig, daß das hehre basisdemokratische Wahlprinzip eigentlich zugunsten der Berufung eines wesentlich kleineren Beirates aufgegeben werden müßte.

Doch da haben die Interessenvertreter wieder einmal Angst bekommen und letztlich versagt: Das jetzt vorgeschlagene Wahlprinzip geht gar zu finsterstem Lobbyistentum zurück. Die einzelnen Genres wählen je einen Vertreter, dazu kommen dann noch drei allgemein gewählte Beiräte: also ein Vertreter für höchstens zehn Musiktheater, einer für etwa 15 Kindertheater, einer für mehr als 150 Sprechtheater ...

Dahinter steckt die durch die Beiratspraxis eigentlich wiederlegte Meinung, „Spezialisten“ könnten besser entscheiden und urteilen. Dabei macht sich in der Beiratsarbeit zuweilen eher der enge Erfahrungshorizont als störend bemerkbar: Wer nur freies Theater, nur in Berlin, nur eines Genres sieht, aber nicht „etabliertes“ in Stadt und Land, dem fehlen Bezugspunkte und Bewertungsmaßstäbe.

Ein Hauptproblem jedes Beirates: Was versteht er unter freiem Theater? Welche Theaterformen will er fördern? Die Allgemeinheit der Formulierungen in den Förderrichtlinien soll Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen bewußt ermöglichen. Doch das jährliche Ritual der Beiratsberatungen sieht so aus: eine kontroverse, grundsätzliche Diskussion über innovatives, professionelles, fortschrittliches, experimentelles, erfolgreiches usw. usf. Theater wird schnell ergebnislos abgebrochen, und die eigentliche Kärrnerarbeit des Beirates beginnt.

Die Arbeit des Beirates: das heißt, Hunderte von Aufführungen zu besuchen, oft unzureichende Theaterkritiken auszuwerten (die Theaterkritik und das freie Theater, ein Dilemma höchsten Grades), mehrere hundert Anträge zu studieren und viele, viele Informationsgespräche mit freien Theaterleuten zu führen. Das heißt auch, Theaterkritiken zu schreiben.

Das heißt aber nicht, begleitender Dramaturg freier Theatergruppen zu werden, wie es Alfred Bouß von der Tanzinitiative mißversteht (vgl. das Interview mit Bouß in der taz vom 13. 1. 1995, d. Red.). Ihre Arbeit müssen die Gruppen schon selber machen, die Arbeit des Beirates als neutrales, sympathisierendes und urteilendes Gremium ist ohnehin kaum verantwortlich zu schaffen.

Viel Hilfe bekommt er nicht, sondern immer mehr Aufgaben: er muß ja nicht nur künstlerisch entscheiden, sondern auch finanziell. Für jemanden wie mich, der nicht nicht einmal seine Steuererklärung allein fertigstellen kann, ist das Studium der Finanzierungspläne der Gruppen nur mit einer Verweigerungspraxis zu bewältigen.

Hier, wo die Interessenvertreter, im Beirat ohne Stimmrecht immer anwesend, in meiner Sicht eine Informationspflicht haben, verweigern sie sich meist. So verhaspelt sich ein Beirat in Finanzierungsfragen, um nachher in der Öffentlichkeit seine Unkenntnis der Arbeitsbedingungen freier Gruppen um die Ohren gehauen zu bekommen.

Zugleich führt die Beschäftigung mit der formalen Seite der Anträge zu einem heftigen Wunsch nach mehr Vereinheitlichung, letztlich nach Bürokratisierung: wenn Gruppen ihren Künstlern mal 1.000, mal 4.000 Mark zahlen, mal mit, mal ohne Sozialabgaben, dann wird eine Entscheidung über Fördersummen problematisch.

Dabei wirkt die bewilligte Fördersumme in der Öffentlichkeit als Wertmaßstab. So ist sie aber nicht gedacht, denn sie ist von vielem abhängig, was nicht vergleichbar ist: von der Größe der Gruppe und des Projektes, vom Genre, vom Spielort usw. Die Beratung der einzelnen Anträge erfolgt oft sehr intensiv, bis in kleinste Details: da gerät dann in den Entscheidungen der Bezug zwischen verschiedenen Projekten oft aus dem Blick.

Manche als zufällig erscheinende Entscheidungen beruhen auf zwei Faktoren: zum einen darauf, daß Kompromisse in einem großen Gremium sich meist in der unaufgeregten und wenig aufregenden Mitte einstellen. Zum andern darauf, daß es in vielen Bereichen des freien Theaters ein solides, mittleres Niveau gibt: Welche der gleichwertigen Gruppen da manchmal gefördert werden, hängt auch von ihrer Tagesform und der des Beirates ab.

Ein Problem des Beirates: Seine Begründungen. Wie will man Entscheidungen, in vielen Diskussionsdurchgängen kontrovers – verschiedene Gruppen gegeneinanderstellend – diskutiert, öffentlich darstellen? Und von wem? Von dem, der überstimmt worden ist, von dem der überzeugt worden ist, oder von wem?

Transparenz des Beirates erweist sich als schwierige Sache, zumal freie Theatermacher auf künstlerische Bewertungen ihrer Arbeit, sofern sie mit Geldverweigerung verbunden sind, völlig ohne Diskussionsbereitschaft reagieren.

Der Beirat, das kulturpolitische Wesen: wer in einen Beirat geht, wird zum Kulturpolitiker gemacht. Ob er will oder nicht. Eine Entscheidung über die Förderung einer Gruppe berührt Spielstätten, sie hat Ursächliches mit der Verweigerung von Förderung von anderen Gruppen zu tun. Spielstättenförderung, Optionsförderung, neues Fördermodell, zentrale Spielstätte für freies Theater (wie etwa das Theater am Halleschen Ufer): alles will kulturpolitisch bedacht sein, soll es sicher funktionieren.

Ein Beirat, von Senatskulturverwaltung und Interessenvertretern als scheinbar gleichberechtigt einbezogen in Überlegungen und Entscheidungsprozesse, merkt immer wieder schmerzlich, daß er nur Mittel zum anderen Zweck sein soll. Zwischen dem Befriedungswunsch der Kulturverwaltung und dem Beharrungsvermögen von Interessenvertretern mit ihren ganz eigenen Absichten für die Gruppen und sich selbst, ist es für ein nebenher ehrenamtliches Beiratsmitglied schwer, emotionale Kraft und konzeptionelle Konsequenz zu bewahren. Beiratsarbeit ist intellektuelle und kulturpolitische Knochenarbeit. Wer geliebt werden will, sollte die Finger davon lassen. Wer das Theater liebt und freies Theater oder Off-Theater oder freies Privattheater für wichtig hält, der muß wissen, daß Beiratsarbeit sich nicht nur im Besuch von Aufführungen und anschließendem Daumenzeigen erschöpft.

Soziale Verantwortlichkeit (schließlich geht es um existentielle Entscheidungen für Menschen) und kulturpolitische Absichten bedingen sich.

Doch das Beharrungsvermögen im politischen Raum ist groß: Die Förderrichtlinien, die sich in den ersten drei Praxisjahren als bereits überholungsbedürftig erwiesen haben, gelten offiziell noch bis ins Jahr 2001 ...

Viel Arbeit, wenig Ehr' für einen Beirat.