Schlagt sie doch tot, die Hunde

■ Die letzten Tage des Krieges - eine taz-Serie (Teil 5) / Selbst nach der Kapitulation Berlins wurde das burgähnliche Gelände der Schultheiss-Brauerei in Prenzlauer Berg noch als Gefechtsstand genutzt

Günstige geologische Bedingungen haben vor 150 Jahren den Ausschlag dafür gegeben, daß sich an der Schönhauser Allee Ecke Sredzkistraße ein Gewerbe ansiedelte, dessen Produkt nicht unwesentlich zur deutschen Identität beiträgt: eine Bierbrauerei. Der Untergrund war günstig für den Bau von Kellergewölben, und ein Tiefbrunnen versorgte die Brauerei mit Wasser.

Das Unternehmen Schultheiss prosperierte derart, daß es 1920 zur weltweit größten Lagerbierbrauerei wurde. Von 1891 bis 1910 entstand nach Plänen des Architekten Schwechten, Erbauer der Gedächtniskirche und des Anhalter Bahnhofs, der 25.000 Quadratmeter große Backsteinkomplex aus Höfen, Hallen, Toren und Türmen.

Die Erfolgssträhne des Unternehmens riß auch während der Nazi-Herrschaft nicht ab. Bier braute man weiterhin, jetzt mit Hilfe von Zwangsarbeitern, die in einem Stall auf dem Gelände untergebracht waren. „Die Haltung von Ukrainerinnen war am Anfang nicht befriedigend“, monierte 1943 der Sozialbericht der Brauerei. „Es ist erforderlich, sie unter strenger Kontrolle und Zucht zu halten. Ihr Einsatz erfolgt hauptsächlich für körperlich schwere Arbeiten ohne geistige Anforderungen.“

Weniger Probleme hatte man mit der nationalsozialistischen Obrigkeit. Der Betrieb wurde dreimal mit dem Prädikat „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet, sein hundertjähriges Bestehen mit viel Pomp und Nazigrößen im Deutschen Opernhaus gefeiert. Unterdessen profitierte auch Telefunken von der Architektur und ließ in den bombensicheren Kellergewölben Ukrainerinnen für die deutsche Rüstungsindustrie arbeiten.

In den letzten Kriegstagen bot sich die burgähnliche Anlage geradezu an, als Gefechtsstand genutzt zu werden. In einem Kellergewölbe hatte sich der Divisionsstab für den Befehlsabschnitt Prenzlauer Berg verschanzt. Innerhalb der Mauern hielten sich teilweise bis zu tausend Soldaten auf.

Prenzlauer Berg war am 29. April 1945 von der Roten Armee erobert worden. Trotz der militärischen Kapitulation Berlins am 2. Mai fanden hier in den Straßen weiterhin Schießereien zwischen SS und Roter Armee statt. Der in der Brauerei verbarrikadierte Divisionsstab weigerte sich zu kapitulieren.

Ein Anwohner, der im Glauben an das Kriegsende in der Senefelderstraße eine rote Fahne gehißt hatte, wurde von der SS in die Schultheiss-Brauerei geschleppt und dort erschossen. „Da kam in der Nacht ein sowjetischer Offizier zu uns in den Keller“, erinnert sich ein Soldat. „Er sagte in etwa: Am Potsdamer Platz ist schon Frieden, und hier sterben noch Menschen. Er forderte uns auf, Freiwillige zu benennen, die zur faschistischen Kampfleitung gehen und die Kapitulation fordern sollten. Es war gegen 3 Uhr morgens und noch stockdunkel, als wir in die Schönhauser Allee kamen. Verwundete lagen auf dem Fahrdamm und stöhnten. Dann wurden uns die Augen verbunden. Wir hörten, wie jemand rief: Schlagt sie doch tot, die Hunde. Wir dachten schon, daß es mit uns vorbei wäre, aber dann mußten wir ein gutes Stück laufen und durch Mauerdurchbrüche kriechen.

Schließlich kam ein Pkw, und wir fuhren ein Stück. Als der Wagen hielt und uns die Binden abgenommen wurden, standen wir auf einem Hof. Es war der Hof der Schultheiss-Brauerei. Mit der Kapitulation in den Händen kam die Delegation aus der Brauerei. Die Schießerei in den Straßen hatte aufgehört. Die Menschen standen nach Lebensmitteln an, und ich holte mir einen Schlag Brühreis von der sowjetischen Feldküche. War der Krieg aus? Ja, hier war der Krieg aus.“

Auf Anweisung der Roten Armee nahm man unmittelbar nach Kriegsende den Brauereibetrieb wieder auf. Man produzierte Dünnbier für die Deutschen und einige Liter echtes Bier für den Durst der Besatzungsmacht. Bis 1967 kochte hier Bier in den Kesseln, dann wurde der Betrieb geschlossen. Das Stammhaus von Schultheiss hatte es schon vorher für klüger gehalten, in den viel sichereren Westsektor der Stadt umzuziehen.

Die Tiefkeller stehen heute leer oder voller Wasser. Die Architektur jedoch ist immer noch einmalig. Das freut vor allem Jugendliche, die vom Angebot der Kulturbrauerei und des Franz-Clubs profitieren. Kerstin Schweizer

wird fortgesetzt