Trapper mit Großfamilie

Edgar Froese, Chef von Tangerine Dream, hat seinen leiblichen Sohn in die Band geholt  ■ Von Johannes Waechter

Come on, daddy, gimme the car: Die Rebellion gegen die Eltern und speziell den Vater war schon immer ein Hauptthema des Rock'n'Roll und verwandter Jugendmusiken. So mancher brutale Gitarrensound und manch schockierender Refrain wurde in erster Linie erdacht, um den Alten zu schocken. Vielleicht liegt es daran, daß Tangerine Dream nie viel mit Schock am Hut hatten, vielleicht ist es auch einfach das Ergebnis einer erfolgreichen Erziehung. Auf jeden Fall verstehen sich Tangerine-Dream-Chef Edgar Froese und Sohn Jerome so blendend, daß Papa den Sprößling vor einigen Jahren in die Band holte. Inzwischen bestehen „TD“ nur noch aus Froese senior und junior.

Wie funktioniert angesichts der natürlichen Hierarchie innerhalb dieses Musikerpaares die Zusammenarbeit, fragt man sich unwillkürlich. Ist Jerome der Familienknecht, der statt den Rasen zu mähen oder den Wagen zu waschen einfach Papas Synthies programmiert? Oder ist Edgar nach einem Vierteljahrhundert Sphärenmusik so ausgelaugt, daß Jerome ein kreatives Vakuum füllen müßte? Im Gespräch betonen die beiden Froeses die Harmonie, die ihr Verhältnis prägt. Edgar nennt Jerome einen „tollen Musiker und prima Kumpel“, mit dem es natürlich Konflikte gebe, aber im normalen Rahmen. Und Jerome, auf Rebellion und Vatermord angesprochen, meint: „Das ist doch mehr eine jugendliche Phase, die irgendwann vorbei ist.“

Sieht man die beiden nebeneinander auf der Couch sitzen – Edgar mit weißem Haar, zerfurchtem Gesicht und Cowboystiefeln einem Trapper im Ruhestand nicht unähnlich, Jerome dank seiner steil hochtoupierten Haare deutlich jünger als 24 wirkend –, so kann man sie sich tatsächlich nicht streitend vorstellen.

Zauberlehrling rettet Markenzeichen

Froese ist es offensichtlich gelungen, sich einen Zauberlehrling heranzuziehen, der den Bestand des Markenzeichens Tangerine Dream für kommende Jahrhunderte garantiert.

Apropos Markenzeichen TD: Wer sich darunter nichts vorstellen kann, braucht nur die neue CD „Tyranny Of Beauty“ zu hören. Gedämpft jubilierende Synthie- Klänge fallen aus den Boxen, dezente Drums tuckern dahin, ein Saxophonsolo oder Lauf auf der Akustik-Gitarre sorgen für den kurzen Melodieflash. Die Kompositionen sind nicht poppig, aber auch noch nicht experimentell; sie sind ein faules Zwitterwesen, wie ja der wattige Sound von TD überhaupt häufig als unbestimmt, ja unentschlossen rüberkommt.

Dieser Eindruck mag jedoch auch durch den Overkill an harten Elektro-Sounds, den Techno und Trance in die Wohnzimmer tragen, befördert sein. Was halten denn die Froeses von dieser Musik? Edgar lächelt milde und meint, Techno würde die „Vision“ fehlen, außerdem sei das Zeug kompositorisch nicht die Disketten wert, auf denen es gespeichert ist. Jerome steuert eine Geschichte bei, wie sie selber zu Testzwecken mal einen Techno-Track programmiert hätten. „Hat nur ein paar Minuten gedauert.“ Trotzdem freuen sie sich natürlich, daß die Ambient-Welle ihnen ein wenig neues Underground-Interesse beschert hat.

Streng Untergrund sind Sun Electric, ein aus den beiden Toningenieuren und Synthi-Fanatikern Max Loderbauer und Tom Thiel bestehendes Ambient-Duo. Ihre Platten erscheinen auf dem belgischen Kultlabel R&S, ihre Cover und T-Shirts werden von Designer's Republic gestaltet, The Orb and Jimmy Cauty von KLF haben schon Remixe ihrer Tracks gemacht. Kein Ambiente, das in irgendeiner Weise an TD erinnern würde – und doch werden Sun Electric von den Berliner Synthie- Chefs geradezu verfolgt. Als sie per Kleinanzeige ein riesiges Mischpult erwarben, stellte sich niemand anders als der Ex-TD- Tastendrücker Johannes Schmölling als Verkäufer heraus. Und ihr Studio befindet sich in dem alten Spandauer Gartenhaus, in dem TD vor Jahren mal geprobt haben. „Ein kleiner Kick war das schon“, wie Tom zugibt.

Musikalisch haben sie jedoch wenig miteinander zu tun. Die Begeisterung für Equipment ist auch bei Sun Electric da, doch fehlt ihnen die Prätention und der schwulstige Überbau, der TD häufig ungenießbar macht. Der Effekt der Klangsuche, den sie betreiben, wird nicht dadurch zunichte gemacht, daß sie an ägyptische Götter oder romantische Filmszenen erinnern. Ihr Sound ist ein pures Fischen in elektronischen Klangsuppen, ein sich ständig weiterspinnendes Entwickeln von Bildern, das auf übermäßigen Loop- Einsatz verzichtet. Ob sie ihr fast rhythmusloses Ambient-Set spielen oder sanft in Trance-Richtung grooven – Sun Electric schwingen immer mit dezenter Intelligenz, so auch auf ihrer neuen CD „30.7.94“.

Anfang der Siebziger waren TD auch mal eine fortschrittliche Berliner Band, die auf einem ausländischen Label (Virgin UK) veröffentlichte, weil hier niemand ihre Musik verstand. Sun Electric sollten den Verlauf der TD-Story genau studieren, um ein Umkippen von Experiment in Gewohnheit zu verhindern. Eine Klippe haben Max und Tom schon umschifft: Bisher haben beide keine Söhne.

Tangerine Dream: „Tyranny Of Beauty“ (Virgin)

Sun Electric: „30.7.94“ (R&S/ RTD)