■ Zwanzig Jahre nach der Machtergreifung der Roten Khmer
: Was bringt uns McNamaras Einsicht?

Robert S. McNamara, der ehemalige US-Verteidungsminister, hat in seinen kürzlich veröffentlichten Memoiren festgestellt, daß „wir uns (mit Vietnam) geirrt haben“. Diese Erklärung muß jeden, der in jüngerer Zeit in Kambodscha gearbeitet hat, wie ein Schlag ins Gesicht treffen. Die Zerstörung, die seit der Machtergreifung der Roten Khmer vor über zwanzig Jahren das Land ergriffen hat, übersteigt jede menschliche Vorstellungskraft. Zwar wurden die Roten Khmer nach vierjähriger Herrschaft besiegt, aber immer noch trifft jeder Versuch der Wiederherstellung des Landes in allen Bereichen des physischen und gesellschaftlichen Lebens auf schier unüberwindliche Schwierigkeiten.

McNamara benennt auch die Gründe für die US- amerikanischen Irrtümer: Unkenntnis der vietnamesischen Geschichte und Kultur. Bedauerlicherweise scheitern auch die Versuche, Kambodscha aus seiner tragischen Lage herauszuhelfen – wie die UNO-Übergangsverwaltung für Kambodscha (Untac) und viele andere Initiativen – immer wieder aus denselben Gründen: Unkenntnis der Geschichte, Kultur, der Menschen und Gesellschaft des Landes. Noch besorgniserregender ist die Attitüde, solche Kenntnis für irrelevant und überflüssig zu halten.

Heute kämpfen die KambodschanerInnen um den Wiederaufbau ihres Landes. Im Mai 1993 sind über 90 Prozent der Wahlberechtigten an den Urnen erschienen, um ihre eigenen Repräsentanten zu wählen. Die zivile Gesellschaft erwachte aus ihrer Erstarrung zu neuem Leben. Eine Reihe unabhängiger sozialer Organisationen, Zeitungen und regierungsunabhängige Gruppen sind im Land entstanden. Unter den KambodschanerInnen gibt es rege Debatten darüber, wie sie ihre eigenen Probleme überwinden können. Immer wieder geht es bei diesen Diskussionen auch um die frustrierende Erfahrung, daß die Organisationen der UNO oder aus den reichen Ländern die Lage in Kambodscha fortwährend falsch interpretieren.

Das Hauptproblem für den Wiederaufbau Kambodschas ist der fast vollständige Verlust der Intelligenz – Folge der Politik Pol Pots, der die Vergangenheit auslöschen wollte. Der Begriff Intelligenz wurde sehr weitgehend verstanden, er umfaßte jede Form urbaner Kultur. So verlor Kambodscha seine Lehrer, Wissenschaftler, Anwälte, Richter, Mönche und sogar Fahrer und Mechaniker. Kambodscha braucht massive Unterstützung für Ausbildung und technischen Unterricht. Wenn eine solche Hilfe jedoch erfolgreich sein soll, muß sie möglichst von Leuten aus Ländern der Region gegeben werden, die Geschichte, Kultur und Gesellschaft Kambodschas leichter verstehen.

Die kambodschanische Verfassung ist in großer Eile zustande gekommen, um den Abzug der Untac zu ermöglichen. Es ist ein völlig unzulängliches und unanwendbares Dokument. Versuche, ausländische Modelle wie das französische Rechtssystem aufzuzwingen, haben nur dazu geführt, die Kambodschaner zu verwirren. Notwendig wäre es gewesen, in Konsultation mit den Kambodschanern Gesetze und Verfahrensweisen zu entwerfen, um ein Rechtssystem aufzubauen, das innerhalb des sozialen und kulturellen Kontextes von Kambodscha funktionieren kann.

Wird das von den meisten hochrangigen US-Funktionären wie Robert McNamara geteilte Eingeständnis ihrer Fehler dazu führen, daß sie Reparationen für jene Länder in Betracht ziehen, für die diese Irrtümer extremes Leid bedeuteten? Die Wahrhaftigkeit der Antwort auf diese Frage wird für Ausmaß und Qualität der Hilfe für diese Länder bestimmend sein. Basil Fernando, Hongkong

Der Autor ist srilankischer Rechtsanwalt und leitet die Asian Human Rights Commission, eine unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Hongkong. Zur Zeit der UNO-Übergangsverwaltung 1992/93 arbeitete er im UN-Human-Rights-Unit in Kambodscha. Dieses dokumentierte – gemeinsam mit entstehenden lokalen Menschenrechtsorganisationen – Menschenrechtsverletzungen aller Seiten.