Das türkisch-kurdische Dilemma der USA

Die türkische Premierministerin dankt bei ihrem USA-Besuch für das Verständnis für den Einmarsch im Nordirak. Doch die USA müssen ihre Kurden-Politik nun neu bestimmen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Sie kam, sprach – und erhielt Beifall. Tansu Çiller, türkische Premierministerin und Absolventin der US-Eliteuniversität Yale, fühlte sich bei ihrem USA-Besuch in dieser Woche sichtlich wohl und verstanden, hatte doch die Clinton-Regierung weit mehr Sympathie für die türkische Invasion im Nordirak demonstriert als die Mitglieder der Europäischen Union.

Allerdings sah sich die Premierministerin genötigt, rechtzeitig zum USA-Besuch den Beginn des „sorgfältig geplanten Abzugs“ des türkischen Militärs zu verkünden, das am 20. März mit 35.000 Mann in den Nordirak einmarschiert war, um die „Endlösung der Kurden- Frage“ (O-Ton Çiller) vorzunehmen. Bei allem Verständnis – nach mehreren Wochen war auch in Washington Unruhe über die mögliche Errichtung einer türkischen Pufferzone entstanden.

Überaus enttäuscht sei sie über die Kritik der EU-Staaten, erklärte Çiller am Mittwoch in einer Rede vor geladenen Gästen des „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), eines konservativen Think Tank in Washington. Der Clinton-Administration versicherte sie hingegen ihre Dankbarkeit für deren „nachhaltige Unterstützung“. Gemeint waren vor allem die Äußerung Clintons, der den Einmarsch in den Irak als „legitim“ erachtete, sowie des für Europa zuständigen Staatssekretärs im Außenministerium, Richard Holbrooke, der die Türkei als „Mittelpunkt“ amerikanischer Interessen inmitten einer gefährlichen Nachbarschaft verortete.

Militär-strategische und wirtschaftliche Interessen

Die USA haben in der Türkei zum einen militär-strategische Interessen: Um „Operation Provide Comfort“ zum Schutz der Kurden im Nordirak fortsetzen zu können, sind sie auf die Nutzung des türkischen Luftwaffenstützpunktes in Incirlik angewiesen. Zum anderen gibt es ökonomische Beweggründe, die Türkei, die durch das Embargo gegen den Irak schwere Verluste hat hinnehmen müssen, nicht zu verprellen: Für das Weiße Haus zählt der Nato-Partner zu den zehn „großen Wachstumsmärkten“ in der Welt.

Entsprechend gut gelaunt und eloquent präsentierte Çiller am Mittwoch im CSIS die Türkei als säkulares, demokratisches Bollwerk gegen den islamischen Fundamentalismus. Das Vorgehen gegen die PKK, die separatistische Kurdische Arbeiterpartei, sieht sie als einen weiteren Schritt zur Stabilisierung ihres Landes.

Die Türkei, so Çiller, sei gerade für die mehrheitlich muslimischen ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan oder Tadschikistan das alternative „Modell zum Iran“. Sollte die Integration der Türkei in die EU scheitern, so Çillers Warnung Richtung Brüssel, würde damit auch dem Fundamentalismus in ihrem Land Vorschub geleistet. Das Europäische Parlament hat nach der Invasion im Irak die Ratifizierung der Aufnahme der Türkei in die Europäische Zollunion in Frage gestellt.

„Demokratisierung ist meine erste Priorität“, erklärte die Premierministerin dem hörbar wohlgesonnenen Publikum und versprach, sich im türkischen Parlament für die Abschaffung von Artikel 8 des berüchtigten Anti-Terror-Gesetzes stark zu machen. Der Artikel stellt Meinungsäußerungen unter Strafe, die die „unteilbare Einheit“ des Landes in Frage stellen. Daß gerade sie dafür gesorgt hatte, acht kurdische Abgeordnete der mittlerweile verbotenen Partei der Demokratie aus dem Parlament zu bannen, verschwieg sie in Washington wohlweislich. Die Abgeordneten waren im Dezember letzten Jahres in einem Schauprozeß zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Diesbezügliche Bedenken hatte auch der stellvertretende US-Außenminister bei einem Besuch in Ankara formuliert. Gegen die PKK sei „Gewalt allein keine Antwort“. Um gesetzlose Gruppierungen zu schlagen, müsse man sie in der Bevölkerung marginalisieren. Die Clinton-Administration treibt dabei nicht nur die Sorge um die türkischen Kurden um. Die türkische Invasion hat die USA in ein Dilemma manövriert: In Washington will man einen politisch und militärisch paralysierten, aber territorial integren Irak. Durch die Errichtung einer UN-Schutzzone im Nordirak ist jedoch eben jenes Vakuum entstanden, in das sich die PKK in den letzten Jahren zurückziehen konnte und das die Türkei zur Legitimation ihres Einmarsches heranzog.

Offensichtlich versucht die US- Regierung nun, die irakischen Kurden, die schon 1992 an der Seite türkischer Truppen gegen die PKK gekämpft hatten, als Grenzschützer zu gewinnen – für Geld und militärische Ausrüstung. Das Problem: Die beiden größten kurdischen Gruppierungen im Nordirak, die Kurdisch-Demokratische Partei (KDP) unter Massud Barzani und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) unter Dschalal Talabani bekriegen sich seit Monaten im Streit um die Kontrolle des türkisch-irakischen Grenzgebietes.

Beide sind jedoch offensichtlich daran interessiert, mit den USA und der Türkei ins Geschäft zu kommen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuter's hat die KDP der Türkei angeboten, gemeinsam Grenzübergänge zu kontrollieren. Der Vertreter der PUK in Washington, Barham Salih, erklärte im Gespräch mit der taz, man erwarte für den 26. April eine Delegation des türkischen Außenministeriums, um über eine zukünftige Kooperation gegen die PKK zu verhandeln. Allerdings wolle man „keinen Söldnerlohn von der Türkei“, sondern die Anerkennung als eine selbstverwaltete Region im Nordirak. Was jedoch die Zukunft der türkischen Kurden betreffe, so sei dies ein Problem, das nirgendwo anders „als in der Türkei zu lösen ist“.