6.000 Kleingärtner bangen ums Zuhause

■ Gericht kritisiert Bauressort: Das habe dem illegalen Wohnen in Walle tatenlos zugesehen

Hat der Amtsschimmel im Bauordnungsamt (BOA) früher nur mit den Hufen gescharrt, übt er jetzt schonmal den Schritt. Anfang dieser Woche haben sich VertreterInnen der Baubehörde zusammengesetzt und über ein recht unangenehmes Gerichtsurteil des Bremer Verwaltungsgerichts beratschlagt. Das hatte im Herbst vergangenen Jahres festgestellt, daß das Bauressort seinen „selbst formulierten Zielen“ nicht mehr nachkommt.

Jenes Ziel war bereits 1974 festgelegt worden. Das Bauordnungsamt sollte dafür sorgen, daß illegal gebaute und bewohnte Kleingartenhäuser im Parzellengebiet Walle „bereinigt“ werden. Eine bis heute gültige Dienstanweisung des damaligen Bausenators hatte verfügt, daß alle vor dem Stichtag 28. Mai 1974 gebauten und bezogenen Häuschen als legal betrachtet werden. Die neuen Häuser oder Umbauten an den alten Häusern aber müßten weg, da für sie keine Baugenehmigungen vorlagen. Und die dort lebenden Menschen sollten wegziehen.

Nach Meinung des Gerichts hat die Behörde in den vergangenen 20 Jahren geschlafen. Das Gericht konnte ihr zwar keine Willkür bei einzelnen versuchten Räumungen und Bauordnungsklagen gegen BewohnerInnen der Parzellen-Häuser nachweisen. Es sieht aber auch „kein programmkonformes Handeln“. Die Baubehörde solle sich gefälligst „ein Konzept“ erarbeiten, das „ein systematisches Einschreiten gewährleistet“.

Daran arbeiten die BauordnerInnen jetzt. Der Kleingartenbezirk Walle soll in größere „Bereinigungsgebiete“ aufgeteilt werden. Die Abschnitte sollen dann systematisch durchforstet werden und illegale Machenschaften der BewohnerInnen aufgedeckt werden. Ob hier ein Verandadach zuviel, dort ein Treppchen zu groß ist, weiß das BOA bereits von diversen Erkundungsflügen. Im Frühjahr und Herbst jeden Jahres lassen sie Flugzeuge über den Parzellen kreisen und die Häuser fotografieren. Im Amt vergleichen sie die Fotos mit denen der Vorjahre. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen klappern dann Bauordnungsbeamte die Parzellen ab, beklagen das unrechtmäßige Schaffen der BewohnerInnen und wachen über die Beseitigung.

Im Bauressort weiß man jedoch nicht, wieviele Menschen in dem Gebiet leben. „Das müssen so um die 200 sein“, meint Rainer Imholze, Pressesprecher des Ressorts. Werner Polz, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner, geht von rund 6.000 Menschen in dem Gebiet aus. Er selbst lebt dort seit 1936. Der Reichskommissar für das Bauwesen hatte seinem Vater bereits das Land und ewiges Wohnrecht dort zugesprochen. Mit der Baubehörde kämpft Polz seit rund 30 Jahren. Mit einer Klage gegen überhöhte Pachten ging er sogar bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Das Urteil dort kostete die Stadt Bremen Ende der achtziger Jahre 1,7 Millionen Mark, die sie an die KleingärtnerInnen zurückzahlen muste.

Unbedingt wissen wollte das Bauressort zudem immer, wer denn eigentlich in dem Parzellengebiet lebt. Das Amt bemühte daher in den vergangenen vier Jahren verschiedene staatliche Dienste, um dies rauszufinden. So wollte die Polizei von Polz die Anwohnerzahl wissen, um im Notfall alle Menschen evakuieren zu können. Er könne das sicherlich aus seinen Mitgliederlisten ablesen. Postboten wurden mit Laufzetteln durch die Parzellen geschickt. Sie sollten notieren, wer wieviel Post bekommt. Und eine private Tankreinigungsfirma sollte dem Bauressort mitteilen, wer zwischen Oktober und April seine Abwasser-Tanks der Toiletten leeren läßt. Polz reichte die Anliegen regelmäßig an den Bremer Datenschutzbeauftragten weiter.

Für die ewigen Schikanen des Bauressorts hat Polz nur eine Erklärung: „Die wollen das hier alles plattmachen und dann teuer verkaufen“. Ein Gewerbegebiet grenzt immerhin schon an die Parzellen. „90 alteingesessenen Parzellisten soll außerdem ihr Grundstück genommen werden, um die Sportanlage am Hohweg zu erweitern“, meint Polz.

Das Bauressort will zusammen mit der Bremischen Wohnungsgesellschaft einen Sozialplan entwickeln. Es solle niemand vertrieben werden, sondern jeder Einzelfall für sich geprüft werden, sagt Imholze. „Das wird ja keine Ordre de Mufti“, sagt auch Peter Noltenius, Rechtsexperte im Bauressort. Erstmal müsse man sich mit dem Beirat, den Kleingartenvereinen und den AnwohnerInnen zusammensetzen und über Lösungen diskutieren. Vielen BewohnerInnen kann das Bauamt zudem nicht beikommen: Nach dem Zweiten Weltkrieg garantierte ihnen Wilhelm Kaisen Wohnrecht auf Lebenszeit.

Ulrike Fokken