"Ich habe noch so eine Wut"

■ Am 5. Mai eröffnet die Volksbühne als eigene Konkurrenz den Prater - Ein Gespräch mit dem zukünftigen Leiter Lukas Langhoff über seinen Weg zum Theater, das Epigonentum beim Zuschauen, junge Regisseure und...

Es begann mit einem kleinen Bierausschank für Pferdekutscher und Handwerksburschen. 1867 beantragte die Inhaberfamilie Kalbo eine Konzession zur Aufführung von Lustspielen und Operetten. Damals hieß der Prater dann „Café Chantant“. Mit der einsetzenden Industrialisierung explodierte Berlins Bevölkerungszahl auf fast 2 Millionen, und im Prater, der in einem der größten Arbeiterbezirke Berlins liegt, fanden dort bereits ab 1871 Arbeiterversammlungen statt. Das Vergnügen stand jedoch immer im Vordergrund: Ein Sommergarten-Theater mit Varieté für die Schnaps- und Weißbier-TrinkerInnen.

Sein heutiges Erscheinungsbild erhielt der Prater 1905. Damals zogen die „Prater Lichtspiele“ mit ein und wurden 1932 schließlich Generalpächter. Auch die KPD nutzte das Haus als Versammlungsort. Im Zweiten Weltkrieg diente der Prater als Lazarett. Als eines der wenigen unzerstörten öffentlichen Gebäude wurde es eine erste Anlaufstelle für KünstlerInnen, bis 1946 die Volksbühne vorübergehend einzog, da ihre Spielstätte am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz stark beschädigt war. Bevor der Prater 1967 Kreiskulturhaus des Prenzlauer Bergs wurde, diente er der Defa als Uraufführungskino. Seit der Wende stand das Haus weitgehend leer. Jetzt wird es von Senatsgeldern umfangreich restauriert und der Volksbühne vom Bezirk unter der Auflage kiezbezogener Kultur mietfrei überlassen. Auch der kastanienumstandene Biergarten mit Freilichtbühne aus den 50er Jahren soll wieder in Betrieb genommen werden. Allerdings nur von theatrophilen Pächtern, die den morbiden Charme des Gartens nicht schnellebiger Plastikökonomie opfern.

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taz: Du kommst aus einer Berliner Theaterfamilie. Großvater Wolfgang, Vater Thomas, Onkel Matthias – alles Theatermacher und -leiter.

Lukas Langhoff: Ich wollte unbedingt etwas anderes machen und bin erst mal Tischler geworden. Das wurde schnell öde, und so probierte ich mich als Tontechniker bei Bands. Wir tourten durch Kasachstan und überall in die Ostländer. Später kam „Allerleirauh“, eine Performance-Band. Finanziert haben wir uns über so eine merkwürdige Art, die nur in der DDR vorstellbar war: Wir haben T-Shirts hergestellt und für hundert Mark verkauft, mit Alf und Mickey Mouse drauf. Da bin ich zum T-Shirt-Millionär geworden, kam richtig in einen Rausch.

Dein Onkel ist in den Westen gegangen, dein Vater hat viel im Westen inszeniert – hast du nicht auch daran gedacht, die DDR zu verlassen?

Als Bandmitglieder waren wir ja privilegiert. Wir hatten ein Arbeitsvisum und durften reisen. Viele der Bandmitglieder hauten ab. Ich hatte auch überlegt, im Westen zu bleiben. Aber ich war reich, wenn ich auch nicht viel mit mir anzufangen wußte. Im Sommer 1989 machte ich einen großen Fehler. Ich produzierte wie irre T-Shirts für das Weihnachtsgeschäft. Dann kam die Wende, und auf einmal gab es überall Mickey-Mouse-T- Shirts – nur für 5 D-Mark eben. Da habe ich bestimmt 300.000 Mark verloren. Im Sommer 1993 hörte ich, die Volksbühne hätte ihren Etat noch nicht ausgeschöpft, und ich konnte Frank Castorf dazu überreden, „Allerleirauh“ auftreten zu lassen. Ausverkauft. An der Premiere waren 700 Leute da ... die uns alle ausgebuht haben, die meisten waren Freunde. Das ging richtig schief.

Was hast du nach der Auflösung von „Allerleirauh“ gemacht?

Partys organisiert, so Techno- Läden, wie den Walfisch zum Beispiel. Zu der Zeit war ich arbeitslos und lebte von der Sozialhilfe. Das war eine ziemliche Scheißzeit. Ich habe dann eine Hospitanz im Deutschen Theater gemacht. War ja eh egal, wo ich die Zeit rumbringe. Die Dramaturgin dieser Produktion hat mich bei Castorf für die nächste Produktion von Lothar Trolles „Hermes in der Stadt“ empfohlen. Seitdem bin ich bei der Volksbühne. Ich bin sozusagen Castorf-Schüler.

Was hat Castorf denn an dir interessiert?

Wir stricken jetzt nicht die große intellektuelle Brücke. Manchmal. Das ist keine Ausbildung zum Regisseur. Aber Frank kann sich auf mich verlassen, und wir sind uns angenehm. Die Leute, die ihm dauernd reinquatschen, denken viel zu kurz. Man kommt eh an Frank nicht dran. Der ist ein Genie.

Hast du schon selbst inszeniert?

Bislang habe ich nur eine szenische Lesung im Roten Salon über den Golfkrieg gemacht. Ich wollte ja zum Inszenieren in die Provinz gehen, um dem Druck Berlin zu entgehen. Aber dann kam der Prater dazwischen. Jegliche Nähe zu einem Stil wird dir hier als mangelnde Originalität ausgelegt. Wenn du langsam bist, bist du Marthaler, wenn du einen Eimer auf die Bühne stellst, bist du Castorf, wenn du rummenschelst, bist du ein Epigone von Langhoff oder Stein. Die Beliebigkeit liegt ja nicht in den Inszenierungen, sondern es gibt auch eine Beliebigkeit im Betrachten.

Was planst du für den Prater?

Am 5. Mai wird Ruedi Häusermann ein Stationstheater inszenieren. Textgrundlage ist der Roman „Moppel Schappiks Tätowierungen“ vom Prenzlberg-Autor Peter Wawerzinek. Darin beschreibt er seine Erlebnisse als Tramp in den letzten DDR-Jahren. Wawerzinek wird lesen, und zu dieser Lesung gibt es im Garten Installationen, szenische Vorgänge, die den Text unterstützen oder konterkarieren. Wir wollen erst mal den Ort vorstellen. Im Juni wird es dann ein Spektakel geben. Ganz à la Volksbühne: 15 Regisseure, Kresnik, Castorf, Kriegenburg et cetera inszenieren aus einer Sammlung russischer Literatur der 20erJahre („Die Fehler des Todes“). Von dadaistischen bis hochkomplexen Texten, von ernst bis lustig. Es gibt nur zwei Wochen Probezeit für jeden. Keine Dekoration. Da wir die Hauptbühne erst ab September nutzen können, werden alle anderen Orte des Praters genutzt, wo man spielen kann.

Russische Literatur, um an die alljährlichen deutsch-sowjetischen Praterfeste anzuknüpfen?

Hauptsächlich ist es einfach eine wunderbare Sammlung. Wenn man Brecht machen würde, hätte man es gleich wieder mit den Erben zu tun. Der Prater als Kreiskulturhaus – das soll unbedingt weitergeführt werden. Theater pur funktioniert hier nicht. Es muß ein Kieztreff werden. Drei Tage lang soll das gehen und mit Konzert auf der Freilichtbühne abschließen. Normalerweise denkt ja jeder, wir eröffnen mit großem Spektakel, und dann eben zuerst Häusermann, mit der leisen Sache, das finde ich gut.

Gibt es weitere Pläne?

Der Prater will junge Regisseure vorstellen. Alexander Havemann aus Cottbus, Sascha Bunge, der in Dresden ein kleines Theater leitet, und Matthias Hering, der aus der Berliner Freien Szene kommt. Dann gibt es eine Wiederaufnahme der Kresnik-Produktion „Familiendialog“. Und meine Lieblingsidee: Wir wollen die erste Soap-opera im Theater machen. Jeden Freitag soll Premiere sein, und das Wochenende über wird gespielt. Der Hamburger Thomas Struck schreibt eine Art Science fiction für uns, eine Mischung aus Stanislaw Lem und Star Trek. Grundplot ist, daß ein Raumschiff abhaut mit Commander und Assistentin. Die ist geklont und auf der Suche nach Schmerz. Da ist dann einfach alles möglich in Raum und Zeit. Vor allem lassen sich alle absurden Sachen plazieren. Um die Presse vollends zu verwirren, soll immer ein Überraschungsstargast auftreten. Walter Momper und Katharina Witt oder so.

Was bedeutet eine zweite Spielstätte für die Volksbühne?

Erst mal eine große Belastung. Vor allem personell. Denn wir haben keinen zusätzlichen Etat. Zweitens will sich das Haus selbst Konkurrenz machen. Die Volksbühne ist das einzige politische Theater Deutschlands. Wir haben Erfolg. Und deswegen die Frechheit zu sagen, wir machen unsere eigene Konkurrenz. Natürlich will ich ein anderes Publikum ansprechen als die Volksbühne. Ich will zum Beispiel Easy-rider auf Mopeds oder „Vom Winde verweht“ als Theaterstück im Prater bringen. Triviale Stoffe mit ironischem Blick. Eine kommerzielle, aber jugendbezogene Kultur. Irgendwo zwischen Varieté und Operette. Andererseits ist die Volksbühne auch Konkurrenz, ist klar.

In welcher Weise verstehst du die Volksbühne als politisch?

Politisch heißt nicht, einen Zeitdramatiker zu spielen, sondern inhaltlich politisch zu sein. In der DDR hat man Theater ja schon immer als politischen Raum benutzt. Schlingensief und Kresnik sind zwar nicht aus der DDR, aber wahrscheinlich haben wir noch andere Energien. Die Westregisseure sind politisch frustriert und ausgebrannt. Wir werden vielleicht auch noch entpolitisiert durch diese Zustände. Wenn der Kinkel sagt, er hat gehört, daß es in der Türkei Panzer gibt, dann erinnert mich das an SED-Propaganda: die blanke Lüge. Solche wie Kresnik dagegen haben eine Wut, der kommt aus einem antifaschistischen Elternhaus, Vater von den Nazis umgebracht worden – so, wie mein Großvater im KZ war –, man hat Tradition und ein Bewußtsein, und das verläßt einen auch nicht.

Ich habe noch so eine Wut, die ich rauslassen will. Mich macht das irre, richtiggehend schlaflos, das mit der Türkei. Diese Energie will ich nutzen. Das muß mit Theater funktionieren. Ich will im Prater sagen, wo es stinkt. Theaterleiter werden ja manchmal auch nur eingesetzt, um zu kontrollieren. Ich will eher Unruhe stiften. Kein Kontrollorgan, sondern Brandstifter will ich sein. Text und Interview:

Kirsten Longin