Village Voice
: Von der 3-Minuten-Platte lernen

■ „Fear of Flying“ von Loup Garou und „Beneath Them All“ von The Tide

Auf ihrem nun auch schon zwei Jahre alten Erstling haben Loup Garou erst mal abgesteckt, was ihnen so wichtig war an Musik. Und das war vor allem Country und was damit zusammenhing: Hillbilly, der frühe und mittlere Elvis, schon mal Blues, aber selbst Früh-70er-Hardrock und Rhythm & Blues wie aus Memphis, sogar Psychobilly aus den 80ern. Ihre größte Leistung war es dabei, daß zwischen all den liebevoll adaptierten Stilen dann doch die Band Loup Garou durchschien.

Die Etappe der Selbstfindung scheint nun abgeschlossen, die zweite namens „Fear of Flying“ klingt wesentlich einheitlicher. Stilistisch haben sich die vier aber noch mehr den Wurzeln genähert, was nicht nur in der Instrumentierung mit reichlich Fiedeln, einem Kontrabaß und dickbauchigen halbakustischen Gitarren zum Ausdruck kommt. Sie selbst nennen es Roots-Rock, tatsächlich klingt es, als wären Loup Garou einfach mit dem Boot ein wenig den Mississippi hinuntergefahren und hätten auf dem Weg viel Zydeco gehört und sich intensiv mit den Neville Brothers beschäftigt. Anders als auf ihrem ersten Album adaptieren sie die neuentdeckten Musiken aber nicht nur, sondern stellen sie in einen etwas härteren Zusammenhang, der aber nie das Swingen der Originale vergißt.

Gleich mit den ersten Zeilen des Eröffnungsstücks „starTrax“ versuchen sie ihren musikalischen Entwurf zu rechtfertigen: „We grew up with AFN / Star Trek, man, and Super-Man / We had no computers then / [...] we had thirty-threes and forty-fives / [...] The radio was playing when we met out in the streets“. Netterweise erinnert „starTrax“ nicht nur im Text an Bruce Springsteens „No Surrender“ von der „Born in the USA“-LP. Der Mensch, den man Boß schimpft, sang damals „We learned more from a three-minute-record than we ever learned in school“, und Loup Garou, die in ihrer Kindheit von den 33ern und 45ern lernten, benutzen dazu diesselbe atemlose Hatz in der Musik, jenes Scheinbar-immer-intensiver-Werden, für das auch die E-Street-Band berüchtigt ist.

Der Rest der Platte ist zwar meist wesentlich relaxter und von ungeheurer Souveränität gekennzeichnet, aber die Moral von der Geschicht' ist, auch wenn Loup Garou sich das nicht explizit so gedacht haben mögen, daß für Deutsche zwar eine authentische Herangehensweise an diese Musiken nicht möglich ist, aber auch ein eigenständiger Entwurf von deutscher Popmusik heraus aus dieser anglisierten Gesellschaft halt nur Illusion ist. Deshalb ist ein wohldosiertes Epigonentum, das wenigstens ehrlich mit diesen Brüchen umgeht, auch völlig okay. Für mich jedenfalls – wenn auch bei weitem nicht so offensichtlich wie bei FSK, den Pionieren dieses Entwurfs.

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Daß man mit Epigonentum auch ganz schön auf die Nase fallen kann, beweisen wiederum The Tide. Doch es sei ihnen verziehen, schließlich haben sie sich erst 1993 als Schülerband zusammengetan. Seitdem trat man bei Schulfesten, Abiturbällen, im Hard-Rock-Café, aber auch schon im Schoko-Laden auf.

Ihr Mini-Erstling mit fünf Stücken heißt „Beneath Them All“ und ist gnadenlos zusammengeklaut. Vielleicht ist das bei Loup Garou nicht anders, aber bei dem Sextett sind die Einflüsse offensichtlicher: Der kurz und zackig ewig um sich sich selbst kreiselnde Rhythmus von „Celebration“ ist zum Beispiel eindeutig von Iggy Pops „Passenger“ abgekupfert. Für „Spring in Autumn“ hat Tom Waits Pate gestanden, zu „Somethin' Went Wrong“ dürfte Nick Cave seinen Segen geben.

Das ist zwar recht stilecht in Szene gesetzt, aber da probieren welche halt nur aus, was sie so können, und das ist ihr gutes Recht. Anhören muß man sich das nicht, solange man sich noch an die Originale halten kann. Aber vielleicht sollten die sechs, wenn sie sich ihrer zweifellos vorhandenen Fertigkeiten versichert haben, mal daran denken, was ihnen selbst am Herzen liegt, und nicht daran, was auf der nächsten Klassenfete gefragt sein könnte. Thomas Winkler

Loup Garou: „Fear of Flying“, Vielklang/EFA

The Tide: „Beneath Them All“, im Selbstverlag über L&K Management, Stralauer Allee 28, 10245 Berlin, Tel.: 2940528 oder (0177) 2143521