Spuren verwischt

■ Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter berichtete über russische Verbrechen im Tschetschenien-Krieg

Allein in Grosny wurden nach Angaben der russischen Menschenrechtskommission 24.000 tschetschenische Zivilisten von den russischen Besetzern ermordet. Mit unverminderter Härte wütet die russische Armee weiterhin in Tschetschenien. Daß auch die russischen Soldaten Opfer in Jelzins Krieg sind, ist seltener zu hören.

„Alle russischen Männer, gleich welchen Alters, werden zum Armeedienst gezwungen. Beim Militär bildet man sie durch Folter zu Killern aus. Deserteure werden sofort erschossen und verschwinden spurlos. Die Familien bekommen keine Informationen über ihren Verbleib“, so Ella Michailowna Poljakowa. Sie ist Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter aus St. Petersburg und berichtete gestern im Abgeordnetenhaus auf Einladung von Bündnis 90/Die Grünen über Praktiken der Mobilmachung und Rekrutierung der russischen Armee. „Die russische Gesellschaft lehnt diesen Krieg kategorisch ab“, sagte Poljakowa, die ihren 23jährigen Sohn vor dem Militär verstecken muß. Ihre Initiative sammelt Informationen über die Hintergründe der Tschetschenien-Offensive. „Die Regierung verwischt systematisch die Spuren ihrer Verbrechen.“

Am 8. März, zum Internationalen Frauentag, hatte das Komitee, in dem vor allem Frauen mitwirken, die ihre Söhne im Krieg verloren haben, einen Friedensmarsch von Moskau nach Grosny begonnen. Doch die Friedensmission fand ein abruptes Ende. Nach einem knapp 200 Kilometer weiten Weg wurden die Frauen an der tschetschenischen Grenze vom russischen Militär gestoppt: „Man hielt uns mit Panzern auf und transportierte uns in Bussen ab.“

Frauen, erzählte Poljakowa, seien im Kaukasus sehr geachtet und respektiert. „Wenn sich Männer streiten und eine hinzukommende Frau ein weißes Tuch auf den Boden wirft, müssen sie ihren Konflikt beenden.“ Doch in diesem unerbittlichen Krieg sei kein Platz für traditionelle Riten. Die weißen Tücher, die von den Soldatenmüttern während des Friedensmarsches getragen wurden, hätten die Militärs nicht im geringsten interessiert. Simone Miller

Zum Thema „Zerbombte Freiheit in Tschetschenien“ spricht Ella Poljakowa heute um 20 Uhr im Nachbarschaftsheim, Urbanstraße 21