■ Ein Eisenzeit-Experiment in Holland
: Sieben lebende Moorleichen

Den Haag/Eindhoven (taz) – „Im allgemeinen war die Stimmung gut. Natürlich gab es mal Meinungsverschiedenheiten darüber, was mit den neugeborenen Ziegen geschieht und was aus dem anliegenden Gewässer eßbar ist“, sagt Thay alias Anneke Boonstra am Ende eines einmaligen Experiments. „Ich bin aber auch froh, daß es nun vorbei ist.“ Zwei Monate hielt sich die Direktorin des Prähistorischen Freiluftmuseums Eindhoven auf eisenzeitliche Weise mit sechs weiteren Gefährten auf dem Gelände auf.

Ein Gehöft und zwei Scheunen, stilecht den Jahren 750 bis 50 vor unserer Zeitrechnung nachempfunden, boten Unterschlupf. Die Kälte sei akzeptabel gewesen, berichtet die 28jährige Gartenbauarbeiterin Ria Dekker (Ray). Auf Unterwäsche mußte sie verzichten – durch Ausgrabungen nicht nachgewiesen. „Unter meinem Rock, den ich ständig anbehielt, trug ich ein Lendentuch. Zweimal habe mich in den neun Wochen gewaschen. Meine Haare aber blieben trocken.“ Zum Toilettengang setzten sich die TeilnehmerInnen auf einen Donnerbalken aus Baumstämmen. Die Frauen mußten sich während ihrer Regel mit Moosbrocken und Filzlappen behelfen. Von dem Jahrhunderthochwasser erfuhren die streng Isolierten übrigens erst im nachhinein. Das Lebendexperiment war eine Art Open-air-„Biosphere“. Statt wie bei dem Science-fiction-Experiment in Arizona (USA) gab es hier eben keine Glasglocke oben drüber. Den TeilnehmerInnen war von Biologen eine Tagesration von bis zu 3.000 Kalorien verpaßt worden. 250 Kilo Weizen, 50 Kilo Pferdebohnen, Säcke mit Bucheckern, Holunderbeeren, Kräutern und wilden Äpfeln lagerten in den Vorratskammern. Ein Schwein, zwei Schafe und zwei Ziegen wurden auf das Terrain gebracht. Der Rest mußte auf Beeten in der nächsten Umgebung zusammengegrast werden. Drei Leute waren den gesamten Tag über damit beschäftigt, das Essen zu bereiten.

Von einem echten Experiment aber, so Otto Harsema von der Universität Groningen, konnte nicht die Rede sein: „Die Teilnehmer wissen am Ende allein, ob die Nahrung ausreichte und ob sie das Essen herunterbekamen. Doch was sagt das schon aus: Ihre Kehlen stammen aus dem 20. Jahrhundert.“ Auch das Schlachten eines Schafs lief nicht altertümlich ab, sondern mußte wegen der heutigen Gesetze samt Betäubungspistole und Fleischbeschau von einem Fachmann erledigt werden. Ebenso unkorrekt: eine Dosis Penizillin, mit der die Gebärmutterentzündung einer Mutterziege bekämpft wurde. Sie war dann auch die einzige unter Mensch und Tier, die leiden mußte.

Ernsthaft problematisch entwickelte sich die Situation, als der Milchvorrat zur Neige ging, sich aber gleichzeitig Nachwuchs unter den Ziegen ankündigte. Denn die Zicklein brauchten die gesamte Milch auf. Drohte den Kleinen das Messer? Der Trickkiste entstieg schließlich ein durchziehender Schmied, der die Jungtiere in die Außenwelt mitnahm. Als Entgeld für die von ihm geleistete Arbeit.

Ob sie nun Germanen oder Kelten waren, wußten die sieben lebenden Moorleichen nicht ganz genau. Vermutlich hat in den Niederlanden in früheren Zeiten ein Mischvolk unter dem Einfluß beider Stämme gehaust, sagt Wissenschaftler Harsema. Museumsdirektorin Boonstra mußte indes eingestehen, daß es ihr nicht gelungen war, sich in eine durchschnittliche Germanin zu verpuppen. „In den zwei Monaten habe ich natürlich nicht an Wodan und Freya geglaubt.“ Aber um sicherzugehen, begann das Experiment mit einer Opfergabe an der Heiligen Eiche. Man kann ja nie wissen. Harald Neckelmann