Jenseits von Justitia

Potsdamer Uni forscht nach Gerechtigkeit / „Prinzip der Besitzstandswahrung ist philosophisch dürftig untermauert“

Fragen der Gerechtigkeit durchdringen alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens. Gerechtigkeit ist eine der Grundforderungen im Zusammenleben der Menschen. Grund genug, dieses Thema nicht nur Juristen und vielleicht noch einigen Philosophen zu überlassen. Deshalb wurde im Januar das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung an der Universität Potsdam eröffnet.

Leo Montada, der Direktor dieser interdisziplinären Einrichtung, ist bezeichnenderweise kein Rechtswissenschaftler, sondern Psychologe. Er beschäftigt sich auf diesem Gebiet schon seit 15 Jahren mit Fragen der Gerechtigkeit. „Nur ein kleiner Teil dessen, was als ungerecht erlebt wird, ist juristisch faßbar“, weiß der Fachmann. Auch Politologen, Philosophen und Pädagogen versuchen Ordnung im Widerstreit von Meinungen zu schaffen. Empirische Wissenschaften wie Soziologie und Kulturanthropologie wiederum suchen nach Erklärungen für vorgefundene Unterschiede in Regelsystemen. „Der Informations- und Argumentationsaustausch zwischen den Disziplinen läßt allerdings Wünsche offen“, kritisiert Montada. Die entscheidende Brücke soll hier das neue Zentrum für Gerechtigkeitsforschung bilden.

Montadas Zielsetzung: „Wir wollen wichtige gesellschaftliche Probleme und Konflikte wissenschaftlich analysieren und dann Lösungsmöglichkeiten erörtern.“ Voraussetzung dafür sei interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die nötige Basisforschung kann jedoch nicht am Zentrum selbst geleistet werden. Denn das würde voraussetzen, daß große Forschergruppen in mehreren Disziplinen etabliert würden – und dafür fehlt das Geld. Die Alternative: Das Zentrum wurde als Forum konzipiert, an dem problemorientiert, interdisziplinär und auf internationaler Ebene gearbeitet werden kann. Die Basisforschung jedoch wird von den beteiligten Wissenschaftlern an ihren Heimatinstitutionen geleistet. So soll mit verhältnismäßig geringen Mitteln eine große Wirkung erzielt werden. Die personelle Besetzung wirkt denn auch noch recht bescheiden: Neben Montada sind noch eine Geschäftsführerin und eine Sekretärin im Zentrum beschäftigt. Zwei wissenschaftliche Hilfskräfte kommen bald hinzu.

Während der Aufbauphase werden Studierende und Wissenschaftler der Universität Potsdam sowie auswärtige Forscher und Personen des öffentlichen Lebens als Mitglieder angeworben. Danach soll die Mitgliederversammlung ein kollegiales Leitungsgremium vorschlagen, aus dessen Mitte schließlich der geschäftsführende Direktor gewählt wird. Die Universität hat eine Startfinanzierung übernommen, die allmählich durch Drittmittel abgelöst werden soll. „Wir haben bereits Kontakt zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Freudenberg-Stiftung in Heidelberg und dem Stifterverband der deutschen Industrie aufgenommen“, berichtet der Psychologe Montada.

Verschiedene Arbeitsformen sollen im Zentrum praktiziert werden. Zum einen sind das themenzentrierte Konferenzen und Symposien. Auf den Konferenzen, so der Direktor, solle ein Thema möglichst breit dargestellt und über den aktuellen Forschungsstand kritisch diskutiert werden. „Dabei soll der übliche Zeitdruck vermieden werden“, betont Montada. „Für Referate und ihre Diskussion ist also ein ausreichender Zeitplan einzuplanen.“ Auf Symposien hingegen erörtert eine kleine Zahl von Experten ein spezifisches Problem. Ziel ist ein gemeinsam getragenes Analyse-Ergebnis. „Eine Standardfrage sollte am Ende jedem Beteiligten gestellt werden, nämlich was sich bei ihm durch die Veranstaltung bewegt hat“, wünscht sich Montada.

Auf der anderen Seite sollen aus diesen Veranstaltungen Publikationen und interdisziplinäre Forschungsprojekte hervorgehen, die ebenfalls vom Zentrum unterstützt werden. „Verhandlungen mit einem Verlag werden bereits geführt“, so Montada, „um die Ergebnisse unserer Arbeit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen zu können.“ Darüber hinaus soll das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung auch Beiträge zur Aus- und Weiterbildung leisten. Adressaten sind unter anderem Studierende verschiedener sozial- und erziehungswissenschaftlicher Studiengänge. „Inhalte können zum Beispiel Verfahren im Täter- Opfer-Ausgleich oder Schlichtungsverfahren bei Konflikten am Arbeitsplatrz sein“, erläutert Montada.

Studenten wird das Zentrum zwar nicht ausbilden, doch Montada strebt die Bildung einer Sommerschule an: In ein- bis zweiwöchigen Seminaren sollen renommierte Forscher aus verschiedenen Disziplinen über ihre Arbeiten berichten und für die Beratung von Arbeitsvorhaben zur Verfügung stehen. „Die Einladung zur Teilnahme an diesen Seminaren sollte auch im Ausland ausgeschrieben werden“, betont Montada. Ohnehin ist schon eine Zusammenarbeit mit dem International Center for Social Justice Research vereinbart, einem Netzwerk empirisch arbeitender Sozialwissenschaftler aus Nordamerika, mehreren europäischen Staaten, Israel und Australien. „Es ist ein verbreiteter Wunsch in diesem Netzwerk, das Center mit dem Potsdamer Zentrum zusammenzuführen“, freut sich Montada.

Der Direktor strebt eine Serie von Potsdamer Konferenzen an: „Auch die Potsdamer Konferenz von 1945 war eine Auseinandersetzung mit der Frage nach Gerechtigkeit.“ Die Themen, mit denen sich das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung in Zukunft auseinandersetzen wird, sind vielfältig: „Im Mai veranstalten wir ein Symposion zum Problem Arbeitslosigkeit“, informiert der Direktor. Des weiteren sollen 1995 die Verlusterfahrungen in den neuen Ländern nach der Vereinigung thematisiert werden. Im folgenden Jahr wird das Eigentum ins Visier genommen: „Das Prinzip der Besitzstandswahrung ist philosophisch dürftig untermauert.“

Auch Themen wie Quotenregelungen und der Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, die weniger im Zeichen des West-Ost-Gegensatzes in Deutschland stehen, werden diskutiert. „Die staatliche Einigung Deutschlands und deren Folgen waren ein wichtiger Auslöser zur Gründung des Zentrums.“ Zudem, so Montada, sei gerade der Ort Potsdam keine bloße Zufallswahl. Mit der Idee eines solchen Zentrums habe er sich allerdings schon sehr lange beschäftigt. Lars Klaaßen