Auch unter dem Ausnahmezustand protestieren die BolivianerInnen

■ Mit aller Härte geht Boliviens Regierung gegen Streikende vor / Auch die Gewerkschaften setzen auf Konfrontation

La Paz (taz) – Die Politprominenz traf sich im Kino. Auch Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada war sichtlich gut gelaunt ins „Tesla“ im Zentrum von La Paz gekommen, um die Premiere des bolivianischen Films „Jonas und der rosa Walfisch“ mitzuerleben. Vier Häuserblocks weiter hatte die Armee am letzten Dienstag gerade das Gebäude gestürmt, in dem die Führung des Gewerkschaftsdachverbandes COB tagte, die Anwesenden verhaftet und zum Militärflughafen transportiert.

Schon am Nachmittag war in Copacabana am Titicacasee die Gewerkschaftsspitze der Coca- Bauern unter dem Vorwurf der „Konspiration“ verhaftet worden. Von den nach offiziellen Angaben 374 Verhafteten befinden sich die meisten inzwischen in abgelegenen Militärgarnisonen. Im ganzen Land gilt der Ausnahmezustand.

Seit Wochen streikten die Lehrer, und ihre Gewerkschaft blies zum Großangriff auf die eingeleitete Reform des Bildungswesens, einem der großen Reformprojekte Sánchez de Lozadas. Demonstrationen legten immer wieder in La Paz den Verkehr lahm. Die COB setzte dazu den Kampf gegen die „Kapitalisierung“ – die bolivianische Version der Privatisierung von Staatsbetrieben – gegen Massenentlassungen und den Abbau sozialer Errungenschaften auf die Tagesordnung.

Eingeübte Rituale der Repression

Die Coca-Bauern des Chapare, der Haupt-Cocaanbauregion, befinden sich ohnehin im Dauerkonflikt mit der Regierung, die unter dem Druck eines Ultimatums von Seiten der USA steht. Bis zum 30. Juni müssen 1.700 Hektar Coca- Pflanzungen ausgerissen sein, sonst wird der Geldhahn aus dem Norden zugedreht.

Noch am Dienstag nachmittag sah es so aus, als deute sich ein Kompromiß zwischen Regierung und Gewerkschaften an. Die Kirche hatte vermittelt, ein vorläufiges gemeinsames Papier lag vor. Wenige Stunden später lehnte die COB-Führung das Papier ab, und sofort griff die Armee ein. Knüppeleinsätze gegen die Presse, Fahrzeuge ohne Nummernschild, in denen die Verhafteten abtransportiert wurden: Der Staat ist in die jahrzehntelang eingeübten Rituale der Repression zurückgefallen, keine Spur vom „neuen Bolivien“ der amtlichen Propaganda.

Aber auch die Gegenseite heizte den Konflikt nach Kräften an. Noch vor zehn Jahren war die COB nicht nur Gewerkschaftsdachverband, sondern betrachtete sich als gleichwertige Gegenmacht zu Staat und Regierung, als Avantgarde des Volkes im Kampf gegen den Imperialismus. Ausgerechnet der damalige Planungsminister Sánchez de Lozada schloß ab 1985 die meisten staatlichen Minen und entzog der COB damit ihre Machtbasis, die stark politisierten und organisierten Minenarbeiter. Spätestens in drei Monaten muß der Ausnahmezustand laut Verfassung aufgehoben werden.

Aber die Proteste gegen den Ausnahmezustand lassen schon jetzt nicht auf sich warten. In Cochabamba, der drittgrößten Stadt des Landes, streikt die gesamte Universität. Die Bauerngewerkschaft will für den kommenden Montag an schon früher geplanten Straßenblockaden festhalten. Sánchez de Lozada wollte Ruhe im Land schaffen, er scheint das Gegenteil erreicht zu haben. Christian Berg