■ Ökolumne
: Das Endspiel Von Niklaus Hablützel

Wer beim Schachspielen nicht erkennt, wann eine Partie verloren ist, sollte den Spieltisch verlassen. Er ist nicht nur ein schlechter, sondern gar kein Spieler, weil er offensichtlich die Regeln nicht versteht. Die Atomenergie ist nun allerdings kein Spiel. Um so wichtiger ist daher, daß sich nur Leute damit befassen, die ein paar einfache Kriterien der Rationalität erfüllen. Das Atomgesetz kennt zum Beispiel den Begriff der „Zuverlässigkeit“. Darunter ist zu verstehen, daß Betreiber von Atomanlagen alle technischen und rechtlichen Vorschriften verstehen und auch einhalten wollen. Unter anderem folgt daraus, daß sie jederzeit erkennen müssen, wann ein Projekt nicht mehr mit den allgemein anerkannten Mitteln zu verwirklichen ist. Wenn sie das nicht können oder wollen, müssen sie aus diesem Grund an weiteren Zügen gehindert werden. Auch der Unterschied zwischen Kriegern und Kriegsverbrechern läßt sich so erläutern. Krieger mögen sich eine Zeit lang einbilden, mit guten Gründen zu kämpfen. Wenn sie aber noch eine Schlacht anzetteln, nachdem sie erkannt haben müssen, daß der Krieg entschieden ist, verlieren

sie jede moralische Legitimation. Sie sind dann

Verbrecher im Sinne anerkannter Regeln des Völker-

rechts.

Wenn sich am Montag in Bonn mehrere Politiker und eine Politikerin aus vier deutschen Parteien an einen Tisch setzen, geht es leider nicht nur um ein Spiel und zum Glück auch nicht um einen Krieg. Vielleicht aber schon um die Anerkennung gewisser Regeln der Vernunft. Die Runde will einen Konsens über die zivile Nutzung der Atomenergie finden. Einmal unterstellt, daß sie das wirklich will, muß sie zu zwei minimalen Einsichten vorab bereit sein. Die erste besteht darin, anzuerkennen, daß über eine Zukunft der Atomenergie in Deutschland nicht mehr verhandelt werden kann. Der vielbeschworene Atomausstieg ist nicht das Ergebnis, sondern die Voraussetzung der Konsensgespräche. Nicht etwa deswegen, weil einige politische Parteien das so wollen, sondern weil die Atomwirtschaft bereits damit begonnen hat. Ihr Spiel ist verloren, das monatelange Drama um ein paar abgebrannte Brennstäbe in einem sündhaft teuren Stahlbehälter ist dafür nur einer von vielen Beweisen. Worüber jetzt nur noch verhandelt werden kann, ist die Art und Weise, in der die scheußlich gefährlichen Überreste einigermaßen verantwortbar aufbewahrt werden können. Zu einem Ergebnis werden solche Gespräche nur führen, wenn für jedes einzelne Atomkraftwerk feststeht, wann es den Betrieb einstellt. Denn nur dann kann sinnvoll über Lagerstätten für eine definierte Menge radioaktiver Abfälle entschieden werden.

Diese zweite Rationalitätsbedingung hängt mit der zweiten Grundeinsicht zusammen, zu der Parteien womöglich noch weniger bereit sind als zu der ersten. Es ist nämlich kein politischer Konsens möglich ohne die Zustimmung praktisch aller Anti-Atom-Initiativen und der großen Umweltverbände. Sie sitzen in jedem Fall am Verhandlungstisch, denn nur mit ihnen läßt sich das atomare Abfallproblem lösen. Selbstverständlich lassen sie höchstens dann über Zwischen- und Endlagerstandorte mit sich reden, wenn der Abschaltplan für alle Atomkraftwerke beschlossen ist.

Politiker und Politikerinnen sollten damit rechnen, daß die führenden Köpfe der Atomindustrie mindestens ahnen, daß die Partie so steht. Sie, die Geld zu verlieren haben, werden notfalls versuchen, direkt mit den Atomkraftgegnern zu verhandeln. Denn sie brauchen zum Beispiel das Zwischenlager von Gorleben tatsächlich. Es ist heute zwar möglich, mit ein paar tausend Polizisten und endlosen Gerichtsverfahren einen einsamen Castor in die leere Halle zu stellen. Wer so handelt, muß sich den Vergleich mit Kriegsverbrechern gefallen lassen. Zunächst wäre diese Demonstration eigener Blindheit nur lächerlich. Gefährlich daran ist allerdings schon, daß sie das Problem verschärft, statt es einer Lösung näher zu bringen. Abgebrannte Brennstäbe sollten in der Tat sicher gelagert werden. Das können sie erst dann, wenn auch die Energiewirtschaft das Ende ihres atomaren Abenteuers nicht nur heimlich einläutet, sondern ausdrücklich erklärt. Dann wird eines Tages sogar vorstellbar, daß Castor-Behälter aus stillgelegten Atomkraftwerken unter der allerstrengsten Aufsicht der Bürgerinitiative von Lüchow- Dannenberg nach Gorleben fahren. Es gibt schon jetzt keinen Ort der Welt, an dem sie besser bewacht wären.