„Ihr seid lebensechte Helden“

Europatreffen der „Guardian Angels“, die in den U-Bahnen für ein „subjektives Sicherheitsgefühl“ patrouillieren / Wer noch nicht wußte, daß er fliegen kann, erfuhr es am Samstag im „Kempinski“  ■ Von Barbara Bollwahn

Sie nennen sich „Psycho“, „Magic“, „Dolphin“ oder „Terminator“, und sie gehören zu der großen Familie mit dem himmlischen Namen „Guardian Angels“. Auch wenn sie glauben, ausgewählt zu sein, um den Glauben an das Gute im Menschen am Leben zu erhalten – ihre Namen sind nur Schall und Rauch. Und „Anchor“ weiß das. „Anchor“ ist nicht umsonst der „European Regional Coordinator“. Einen Besseren als den 23jährigen, der eigentlich Silvio Parlanti heißt, hätte man nicht finden können, um den flügellosen Peacebringern für zwei Stunden das Gefühl zu geben, doch irgendwie fliegen zu können.

„Anchor“ weiß, was von ihm erwartet wird. „Die Leute kommen, weil sie was erleben wollen“, sagt er. Das Rednerpult im Schloßsaal des Kempinski-Hotels, wo am Samstag das erste Europatreffen der „Guardian Angels“ zu mietfreien Konditionen stattfand, wird zum Einmann-Erlebnispark. „Anchor“ zeigt den fast einhundert Angels zwischen Pubertät und fortgeschrittenem Erwachsenenalter, was eine himmlische Harke ist. „Was glaubt ihr, was die Leute von euch denken?“ ruft er den deutschen, englischen, schwedischen, dänischen und italienischen Friedensbringern in perfektem Englisch zu. „Daß ihr Clowns seid? Glaubt ihr, ihr seid dumme Bastarde, die wie Scheiße aussehen? Wenn ihr das glaubt, warum seid ihr dann hier?“ schreit er.

„Anchor“ will gar keine Antworten. Er liefert sie selbst. Aber erst, als es wieder still ist. Denn der Rauhhaardackel seiner Mutter, die stolz in der ersten Reihe sitzt, ist ihm mit seinem Gekläffe ins Wort gefallen. Als jemand das Objekt der Teckelbegierde, einen Käfig mit einer Ratte, rausbringt, macht „Anchor“ weiter: „Natürlich seid ihr keine Clowns, sonst würdet ihr jede Nacht zusammengeschlagen werden. Ihr seid ,Guardian Angels‘. Seid laut und stolz!“

„Chaco“, die „Anchors“ flammende Rede ins Deutsche übersetzt, ist im Unterschied zu den meisten andern anzusehen, daß sie really proud ist. Die 20jährige gehört zu den wenigen wirklich selbstbewußten Angels. Derzeit baut sie den „chapter“ (Ableger) in Mailand auf. Rom, Paris, Barcelona und Moskau sollen folgen. Für ihr Outfit – zu dem obligatorischen roten Barett und dem weißen Angels-T-Shirt trägt sie einen Zopf auf dem kahlrasierten Schädel und eine tätowierte chinesische Übersetzung von „Guardian Angels“ auf dem Unterarm – erhielt sie auf einer Angels-Konferenz in Denver sogar den „Hardcore look award“.

Einem Hotel-Azubi, der auf Kosten des Hauses Wasser und Kaffee serviert, wird angst und bange beim Anblick der großen Familie. „Mir fielen fast die Aschenbecher aus der Hand, als ich reinkam“, gesteht er. Das „etwas militante“ Aussehen sei schon „gewöhnungsbedürftig“. Für ehemals kritische Stimmen von der BVG bis zu den Grünen indes sind die selbsternannten Hilfssheriffs, die durch ihre U- und S-Bahn-Patrouillen das „subjektive Sicherheitsgefühl“ erhöhen wollen, nur ganz normale Fahrgäste.

In Deutschland gibt es zehn „chapters“ mit ungefähr dreihundert Mitgliedern. Zum Berliner Ableger, der vor zwei Jahren gegründet wurde und „europäisches Hauptquartier“ werden soll, gehören etwa siebzig Leute. Unter ihnen sind „graduierte“, also richtige Angels, Anwärter, die bis zur Prüfung nach etwa drei Monaten nur das „I support“-T-Shirt tragen dürfen, und Vollzeit-Angels. „Terminator 2“ ist einer davon. Der 22jährige Berliner „Chapterleader“ bekommt das, was er zum Leben braucht, von den Angels, die in Berlin zwischen zweitausend und viertausend Mark im Monat an Spendengeldern sammeln. Zu wenig, um den Angereisten Fahrscheine zu kaufen. Und mehr als ein Döner und paar Getränke ist nicht drin. „T 2“, der eigentlich Michael Stiller heißt, schläft im Büro in der Herderstraße, kontrolliert die Teilnahme am Training, gibt Termine durch und geht natürlich auf Patrouille.

Ganz geschickt verteilt „Anchor“, der auch Vollzeit-Engel ist, zwischen seinen Angriffen Streicheleinheiten. „Ihr riskiert euren Arsch für andere“, sagt er, um im nächsten Moment wieder zu brüllen: „Ihr wollt alle Leben retten, richtig?“ Ein schwaches „Uss“, der japanische Kampfruf, der Zustimmung signalisiert, verliert sich über den Baretten. „Anchor“, der Angel provocateur, nimmt seine Jünger noch einmal hart ran, bevor sie sich an Stickball, einer Billigvariante von Baseball, versuchen. Er will von ihnen wissen: „Würdet ihr euer Leben riskieren für eine Frau, die vergewaltigt wird?“ Die „Uss“- Rufe sind kaum mehr auf den Lippen abzulesen. Als hätte „Anchor“ doch etwas Mitleid für den Pfadfinderverschnitt, ruft er ihnen zu: „Ihr seid lebensechte Helden.“ Doch nicht mal die, die es gerne wären, scheinen es so recht zu glauben. Nur ein ganz leises „Uss“ kommt einigen wenigen über die Lippen.