Grausame Rache in Ruanda

■ Ein Jahr nach dem Völkermord töten Regierungssoldaten Tausende Hutu-Flüchtlinge

Kigali/Berlin (taz/wps/rtr/dpa) – Ruandische Regierungssoldaten haben im Südwesten des Landes ein Massaker angerichtet. Nach UN-Angaben wurden Tausende Menschen getötet, als die Soldaten am Samstag auf Insassen des Flüchtlingslagers Kibeho das Feuer eröffneten. Die Militärs feuerten mehrere Stunden lang in die Menschenmenge, die seit fünf Tagen auf einem Hügel von der Armee umstellt war.

Die UNO-Mission in Ruanda sagte gestern, UNO-Soldaten hätten nach einer Inspektion der Hälfte des Lagers 4.000 Tote gezählt. Insgesamt dürften damit bis zu 8.000 Menschen ums Leben gekommen sein. „Die Soldaten feuerten wie die Verrückten“, sagte eine Augenzeugin. „Es gab Berge von Leichen getöteter Kinder.“

Das Massaker war der blutige Höhepunkt einer seit Dienstag vergangener Woche ständig eskalierenden Spannung. Kibeho war das größte der Lager im Südwesten Ruandas, in denen sich nach Einschätzung der Regierung viele Anhänger des für den Völkermord des vergangenen Jahres verantwortlichen alten ruandischen Regimes befanden. Am Dienstag hatten Soldaten begonnen, das Lager aufzulösen. Die etwa 150.000 Lagerbewohner flohen auf einen Hügel, wo Soldaten sie umstellten und keine Lebensmittel mehr durchließen. Mehrfach gaben Soldaten Salven auf die Flüchtlinge ab. Zugleich gaben Hutu- Milizionäre im Lager den Befehl, sich einem Abtransport zu widersetzen.

Die Berichte zum Ablauf des Massakers sind zum Teil widersprüchlich. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) wollten am Samstag morgen Gruppen von Flüchtlingen die Armeesperre durchbrechen, um Schutz vor strömendem Regen zu suchen. Die Soldaten hätten auf sie geschossen, woraufhin Heckenschützen im Lager auf die Soldaten das Feuer eröffnet hätten. Danach habe die Armee am Mittag einen Großangriff begonnen. Ein Reuter-Korrespondent und ein UN-Arzt berichteten aber, Auslöser des Massakers seien heftige Kämpfe zwischen Milizionären und Flüchtlingen im Lager gewesen, wobei viele Menschen mit Macheten getötet worden seien; der Angriff der Soldaten sei erfolgt, als Flüchtlinge daraufhin die Armeesperren durchbrechen wollten.

Sicher ist, daß die Regierungssoldaten auch auf unbewaffnete Zivilisten schossen. UN-Vertreter und Journalisten konnten am Samstag sehen, wie Tausende Menschen vor schießenden Soldaten davonliefen. „Die Soldaten führten sich auf wie Barbaren“, sagte ein UN-Soldat. Der Reuter-Korrespondent berichtete, er habe später versucht, sich zusammen mit Helfern einen Weg in das Lager zu bahnen. Sie hätten Hunderte tote Kinder beiseite geräumt. Die Leichenberge seien jedoch so hoch gewesen, daß sie aufgegeben hätten.

Gestern waren fast alle Überlebenden aus Kibeho auf der Flucht. Nach Angaben der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ trieb die Armee 80.000 Menschen in die Provinzhauptstadt Butare. Ruandas Premierminister Faustin Twagiramungu kündigte gestern für den Fall, daß die Soldaten vorsätzlich geschossen hätten, Sanktionen an. Zuvor müsse jedoch ermittelt werden, ob es sich nicht um eine „rechtmäßige Verteidigung“ gehandelt habe. D. J. Seite 8