Freie Fahrt...

■ ...für freie Bürger: Der Bremer Informatiker Herbert Kubicek wirbt für einen bürgerorientierten Umgang mit Multimedia

Herbert Kubicek, Informatik- Professor in Bremen, schrieb mit „Mikropolis“ 1985 das erste deutsche Standardwerk über die Informationsgesellschaft. Er warb für umfassenden Datenschutz, warnte aber zugleich vor einer Verteufelung der neuen Medien. Heute arbeitet Kubicek an einer „Informatik für Menschen“. Erstes Ergebnis ist ein Bremer Stadtinformationssystem, an das Bibliotheken, Bürgerzentren und private Anbieter angeschlossen sind.

taz: Sie waren Mitte der achtziger Jahre einer der entschiedensten Kritiker des „Überwachungsstaates“. Muß man heute noch Angst vor Big Brother haben?

Herbert Kubicek: Das beste Gegenstück zu Orwells „1984“ ist das Internet. Dort ist alles drin, aber niemand kann es mehr kontrollieren. Diese Art privatkapitalistischer Anarchie entzieht den alten Überwachungsvisionen technisch den Boden. Hinzu kommt die anstehende institutionelle Deregulierung und die weitere Aufteilung der technischen Netze.

Welche Entwicklung hat das Fernsehen in Ihrem multimedialen Szenario?

Es ist eine zentrale Erfahrung der Mediengeschichte, daß neue Medien die alten nie in wirklich nennenswertem Umfang ersetzen. Die Auswahlmöglichkeiten werden sich beim Fernsehen aber deutlich erhöhen.

Ein Vollprogramm, ergänzt durch Spartenprogramme und vor allem interaktive Dienste – wäre das auch eine Perspektive öffentlich-rechtlicher Grundversorgung?

Ja, und eine, die sehr einfach zu realisieren ist. Man müßte sich nur von dem überholten Kanalmodell entfernen. Wer einen Beitrag zum Zeitpunkt der Ausstrahlung nicht hören oder sehen will oder kann, hat über die neuen Techniken andere Zugriffsmöglichkeiten. Über einen interaktiven Redaktionsdienst könnte das Produkt dann entsprechend ergänzt werden.

Die Privatsender sind gegen einen multimedialen Ausbau des öffentlich-rechtlichen Systems.

Mittlerweile ist Medien- und Technologiepolitik hier reine Wirtschafts- und Machtpolitik geworden. In den USA ist das anders. Über die Zukunft der Informationsgesellschaft wird dort in aller Breite diskutiert.

Mit Bill Cinton und Al Gore als Diskussionsleitern.

In ihrem Wahlkampf war viel von dem Zukunftsmarkt Multimedia die Rede. Aber – und das ist entscheidend – diese Werbung wurde glaubwürdig, weil der Clinton-Stab die neue Technik selbst nutzte. Dort arbeiteten jetzt viele Leute, die mit Computern groß geworden waren und die – auch mit dem Blick auf potentielle WählerInnen – den Zugang der Bürger zur Verwaltungsinformation umsetzten, elektronische Post zum Weißen Haus einrichteten usw. Mittlerweile hat sich die Initiative von der Person des Präsidenten gelöst und fast alle gesellschaftlichen Gruppen erreicht. Innerhalb weniger Monate haben sich über siebzig Gruppen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammengeschlossen.

Was fordern diese Gruppen?

Gleichheit, Partizipation und Selbstbestimmung bei der Entwicklung und Nutzung der Informationstechnologien. Inzwischen haben sich an die hundert amerikanische Bürgerrechtsgruppen auf sogenannte „Prinzipien des öffentlichen Interesses für den Medienbereich“ verständigt. Darin heißt es unter anderem, eine Grundlage des Lebens, der Freiheit und des Strebens nach Glück im Informationszeitalter sei der Zugang zu Video- und Audiodiensten und zu Datennetzen. Unter dem Stichwort „Universal service“ werden nun Modelle diskutiert, wie die Versorgung mit Diensten gewährleistet werden kann, die für das alltägliche Leben wie für die Teilhabe an der Öffentlichkeit entscheidend sind. Und das in einem privaten Netz, unabhängig vom Einkommen, aber auch von Rasse, Sprache und Wohnort.

Wie kann die US-Regierung diese Grundversorgung garantieren? Schließlich redet ja auch die Industrie ein Wörtchen mit.

Man hat sich drüben völlig abgeschminkt, daß der Staat etwa diese sogenannte „Datenautobahn“ noch baut, finanziert oder betreibt. Er lizenziert nur noch. Die Clinton-Regierung betreibt dabei die Deregulierung ganz geschickt. Sie verknüpft sie mit Auflagen im öffentlichen Interesse. Die Telefongesellschaften schließen so beispielsweise alle Schulen und Bibliotheken kostenlos an die Netze an.

Die Öffnung der Computernetze zu den BürgerInnen ist ein Aspekt, die Verhinderung flächendeckender Monopole bei den Telefon- und Kabelnetzen ist ein anderer.

Im Telekommunikationsbereich hat jeder US-Bundesstaat seine eigene Regulierungsbehörde, die Tarife und Pflichtleistungen festlegt. Basis dieser Regelungen sind öffentliche Anhörungen. Dabei kann jeder Fragen an die „Public Utility Commissions“ herantragen. Ihm werden auch Informationen zur Verfügung gestellt, die weit über hiesige Unterlagen hinausgehen. Dann äußern sich zum Beispiel die Feuerwehr oder die Häuser für vergewaltigte Frauen, bis die Kommission schließlich auf der Basis der vorgetragenen Argumente entscheidet.

Man müßte also auch hier darüber nachdenken, welche Auflagen und Anforderungen an private Netzbetreiber und Diensteanbieter zu stellen sind und wie auch die Privaten zur informationellen Grundversorgung beitragen müssen?

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bindet den Auftrag zur informationellen Grundversorgung gar nicht so eng an ein bestimmtes technisches Medium. Wir müssen uns auf die Funktion besinnen, die hinter dieser Anforderung steht, und uns dann fragen, welche technischen Medien wie zur Erfüllung der Anforderung notwendig sind. Wir sollten die Grundversorgung aber nicht vor Gericht einklagen, sondern vor allem in der Öffentlichkeit. Interview:

Peter Hanemann/Wolfgang Hippe