Go West, Life is Difficult there!

■ Richard Herzinger und Hannes Stein plädieren für einen streitbaren Liberalismus / Wider die Homogenitätssüchtigen links wie rechts

Als der NS-Major Heinrich Strasser und sein Anhang in „Casablanca“ plötzlich „Die Wacht am Rhein“ anstimmen, steht Victor Laszlo, bebend vor Zorn, auf und läßt die Band in Rick's Café die Marseillaise intonieren. Hannes Stein und Richard Herzinger stapeln in ihrem Buch „Endzeit-Propheten oder: Die Offensive der Anti-Westler“ etwas tiefer; man könnte sagen, sie pfeifen eher ein frohgemutes „I like to be in America“. In der Tat hat ihr furioser Essay die Geschmeidigkeit von Bernsteins Song. „Der Westen, den wir verteidigen wollen, ist keine heile Welt. Unser Bekenntnis zum westlichen Liberalismus ist nicht mehr als das fröhliche Eingeständnis, daß wir keine Utopie haben. Es gibt nur diese eine, unvollkommene Wirklichkeit, und der zivilisierte Umgang mit scheinbar überwältigenden Problemen muß täglich neu ausgehalten und erlernt werden. Die Krise kann nur ein ums andere Mal überwunden werden, aber nicht ein für allemal; es gibt keine absoluten Lösungen, sondern nur den permanenten Versuch der Katastrophenminderung.“ Die Moderne in der Krise? Unsinn, sagen die beiden Autoren, die Moderne ist die Krise, „die Demokratie ist der ständige Bürgerkrieg, der niemals geführt wird“.

Was hier eher kühl konstatiert wird, ist in Wahrheit eine Kampfansage, die den Homogenitätssüchtigen links und rechts, grün, braun und rot, gleichermaßen gilt.

Der Liberalismus habe keine Werte, tönen die Neuen Rechten und setzen damit das fort, was die Linken mit ihrer Schelte der „nur formalen Demokratie“ begonnen haben. Herzinger und Stein beleuchten eine Tradition, die zwischen Rousseau und Carl Schmitt irrlichtert und setzen ihr den „Liberalismus als institutionalisierte Skepsis“ entgegen. Den Konsens bilden zivile Regeln und rationale Abmachungen. Wer es lieber etwas ursprünglicher haben will, könnte es auch leicht viel blutiger bekommen. „Der Traum von der unentfremdeten, der selig widerspruchsfreien Gesellschaft erwies sich immer als Wappen auf einer Münze, deren andere Seite vom Kopf des Großen Bruders geschmückt wurde.“ Es waren nicht zuletzt linke Intellektuelle des Westens, die sich für diesen Charme des Totalitären äußerst offen zeigten: Alfred Mechtersheimer bei Muhammar al-Ghaddafi, Luise Rinser bei Kim Il Sung oder Ernst Bloch mit seiner Schwärmerei vom guten Führer und der „echten Völkergemeinschaft“.

Zu einem Gruseltrip wird das Buch dann, wenn die Autoren zeigen, welche Blüten die Sucht, aus dem mehr oder minder geregelten Chaos der Moderne zu entkommen, bei einigen Zeitgenossen treibt. Die beiden Konsumkritiker Botho Strauß und Eugen Drewermann träumen vom Blutopfer als Ausdruck „welterhaltender Gerechtigkeit“, bei Heiner Müller stiftet das Menschenopfer die revolutionäre Identität, die Öko-Totalitaristen von Franz Alt bis Rudolf Bahro schließlich propagieren die große Umkehr: Schilfgras statt Menschenrechte.

Da dieser Essay nie moralinsauer anklägerisch daherkommt, sondern stilsicher mit dem Florett der Aufklärung ficht, wird auch die härteste Polemik nie zur ermüdenden Lektüre. Es darf sogar gelacht werden, etwa da, wo der homogenen Dorfgemeinschaft von Asterix das hemmungslos atomisierte Entenhausen entgegengestellt wird: „Der verfettete Franz Gans redet selten; auf sein Befinden angesprochen, fällt ihm meist nur ein Satz ein ,Appetit gut, aber immer müde, müde.‘“ Drückt sich darin nicht aller Glanz und alle Problematik der befriedeten westlichen Zivilisation aus? Auf die empörte Frage des kulturpessimistischen Neoheroikers Botho Strauß (der übrigens trotz seines einschlägigen Namens kein Einwohner von Entenhausen ist!), warum der liberale Mensch für das Sittengesetz seines Volkes keine Blutopfer mehr zu bringen bereit sei, wäre die knappe präzise Formel des Franz Gans jedenfalls die ultimative Antwort.

Freilich geht manchmal die Witzelei auch daneben, zum Beispiel dann, wenn ausgerechnet Freya Klier als Symbolgestalt „der Oppositionellen mit dem nationalchauvinistischen Tick“ herhalten muß oder Wolfgang Templin in rufmörderischer Absicht mit dem populistischen Ostnationalisten Peter-Michael Diestel gleichgesetzt wird. Klier und Templin haben im Unterschied zu den beiden Akademikern ihr Leben nicht nur in Bibliotheken und Lesesälen zugebracht, sondern gingen für die hier zur Debatte stehenden liberalen Werte auch ins Gefängnis.

Wenn die Qualität des Westens darin besteht, sich immer selbst in Frage zu stellen und seine eigenen Kritiker quasi gratis mitzuliefern, dann sollte dieses Vermögen auch seinen stärksten Befürwortern zu eigen sein. Aber vielleicht, und das ist den beiden durchaus zuzutrauen, war dieser dämliche Einschub in ihrem ansonsten hochintelligenten Buch nur ein pädagogischer Trick, um die Leser nicht zu Begeisterungsstürmen zu treiben. Es gilt also weiter das Gebot der Moderne: Du sollst dich mit niemandem identifizieren! Marko Martin

Richard Herzinger/Hannes Stein: „Endzeit-Propheten oder: Die Offensive der Antiwestler“. rororo, Reinbek, 250 Seiten, 14,90 Mark