Der Hügel von Kibeho ist leer

In dem ruandischen Lager, wo Regierungssoldaten Tausende von Menschen getötet haben, harren nur noch ein paar hundert Hutu-Milizionäre aus  ■ Aus Kibeho Bettina Gaus

Der Hügel, auf dem sich noch vor wenigen Tagen über hunderttausend Menschen drängten, ist leer. Tausende von Laubhütten stehen ungenutzt herum, an verschiedenen Stellen türmen sich Müllberge aus Plastikplanen, Wasserkanistern und persönlichem Eigentum: Eine schwarze Kinderpuppe liegt da, ein paar Fotos von glücklichen Pärchen vor Fotostudio-Postern mit Palmen und Sandstränden. „Hier haben wir 41 Menschen beerdigt“, sagt der begleitende UNO-Soldat und zeigt auf einen Berg.

Wie viele Menschen genau starben, als am Samstag ruandische Regierungssoldaten das Feuer auf die Flüchtlinge im Lager Kibeho eröffneten, weiß niemand. Die UNO korrigierte ihre Schätzungen zuletzt immer weiter nach unten: Von 8.000 war zunächst die Rede, dann von 5.000, inzwischen von 2.000. Ruandas Regierung spricht von 300. Um es genau zu wissen, müßten die Leichen gezählt werden, aber das ist nicht mehr möglich. „Viele Leichen lagen am Straßenrand“, sagt der UN-Soldat. „Aber im Morgengrauen sind die Soldaten gekommen und haben sehr viele begraben.“ Sollen hier Spuren verwischt werden?

Der Hügel von Kibeho ist leer, aber noch sind nicht alle der einstigen Lagerbewohner von Kibeho verschwunden. 1.000 bis 2.000 Leute sind noch da, zumeist in einem rot-gelben Backsteingebäude – vielleicht früher eine Schule oder eine Kirche. Es sollen Hutu-Milizionäre sein, bewaffnete Anhänger des für den Völkermord vom vergangenen Jahr verantwortlichen alten ruandischen Regimes. „Diejenigen, die sich da verschanzt haben“, sagt einer der ruandischen Soldaten, die das einstige Lager bewachen, „sind die Gefährlichsten. Sie haben Granaten, Lanzen und Macheten“.

Die Aktivitäten der Milizen waren der Grund, warum die ruandische Regierung vor einer Woche die Auflösung der Flüchtlingslager im Südwesten Ruandas beschloß. Die Milizen ihrerseits beschlossen, sich einem Abtransport zu widersetzen. Die ebenfalls präsenten UNO-Soldaten griffen nicht ein: Sie erhielten von den ruandischen Soldaten ein mehrfach verlängertes Ultimatum, die Flüchtlinge selber abzutransportieren, taten es aber nicht. So stieg die Spannung, die sich schließlich am Samstag entlud.

Am Sonntag waren viele der überlebenden Lagerinsassen von Kibeho in Panik in Richtung der Provinzhauptstadt Butare geflohen. Inzwischen ist die Straße dorthin wieder leer. Nur am Straßenrand liegen noch einige Verletzte: Ein alter Mann zeigt seine Wunden und sagt, die Hutu-Milizen hätten ihn angegriffen. Die Flucht war ungeordnet, die Fliehenden waren erschöpft und ausgehungert. Viele von ihnen wurden bei der Ankunft in Butare von den Soldaten im Sportstadion der Stadt versammelt, wo sich zeitweise zwischen 7.000 und 10.000 erschöpfte und ausgehungerte Menschen drängten. Die Proteste von Hilfsorganisationen weist ein Offizier der Regierungstruppen zurück. „Was würden Sie mit ihnen machen?“ fragt er, auf die Behandlung der Flüchtlinge angesprochen: „Sie in ein Hotel bringen?“

Inzwischen sind nur noch wenige hundert Menschen in dem Stadion. Einige nahmen die Soldaten mit – nicht ins Hotel, sondern ins Gefängnis: Sieben verhaftete Männer warten am Stadioneingang auf ihren Abtransport. Andere suchen nun ihre einstigen Heimatdörfer auf, wo sie das Risiko eingehen, von den Überlebenden des Völkermords als Mörder behandelt zu werden. „Es haben einige Leute versucht, sich von Butare in andere Gemeinden durchzuschlagen“, sagt in Kigali der UN- Sonderbeauftragte Shahryar Khan gegenüber der taz. „Sie sind dort sehr feindlich empfangen worden, mit Steinwürfen und Beschimpfungen.“

Internationale Besorgnis

Kigali (rtr/AFP) – UN-Generalsekretär Butros Ghali hat das „sofortige Ende“ der in Ruanda verübten Grausamkeiten gefordert und beschlossen, einen Emissär in die ruandische Hauptstadt Kigali zu entsenden. Die USA äußerten sich äußerst besorgt und wollten gestern mit der ruandischen Regierung Gespräche aufnehmen. Frankreich forderte die Regierung auf, die Schuldigen zu bestrafen. Belgien kritisierte die Haltung des ruandischen Militärs als „brutal und unkontrolliert“. Die britische Regierung äußerte hingegen für Ruandas Regierung Verständnis: Die aufgelösten Lager seien voll mit Hutu-Extremisten und Waffen gewesen, sagte Entwicklungshilfeministerin Lynda Chalker. Der ruandische Minister für soziale Integration, Jacques Bihozagara, kündigte an, daß die Räumung der Flüchtlingslager fortgesetzt werde.