Mit Platzverweis gegen Gedenken

■ Polizei hinderte 127 Personen, an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen / Gezielte Aktion gegen „linkes Spektrum“

Berlin (taz) – Weit kam der schwedische Journalist Jan Selling nicht, als er am Sonntag die Gedenkfeier in Sachsenhausen besuchen wollte. Kurz vor Oranienburg, nördlich von Berlin, hielten ihn grün Uniformierte an. Sie überprüften gründlich seine Papiere und fanden sie tadellos, sie durchsuchten sein Auto und fanden nichts. Für die Untersuchung hatte der Journalist Verständnis. Nicht auszudenken, wenn es ausgerechnet an diesem Tag rechten Störern gelungen wäre, zur Gedenkstätte zu kommen.

Als die Beamten in Kampfuniform alle Untersuchungen beendet hatten, durfte Jan Selling nicht weiterfahren. Der Einsatzleiter forderte ihn zur Rückkehr auf. „Er sagte, er habe Anweisung, all diejenigen zurückzuschicken, die aus dem linken Spektrum kommen könnten.“ Auch sein internationaler Presseausweis nützte ihm nichts. Jan Selling bekam einen „Platzverweis“. Innenminister Alwin Ziel (SPD) wird in den kommenden Tagen die Beschwerde auf dem Tisch haben.

Wie Jan Selling erging es noch weiteren 126 Personen. Sie wurden von Polizisten abgefangen, bekamen einen „Platzverweis“ und mußten umkehren. Die Beamten gingen durchaus gezielt vor. Die „Arbeitsgemeinschaft grüner Antifaschisten“, eine 30köpfige Gruppe von Bündnisgrünen, die aus Berlin-Tiergarten anreiste, wurde auf einen Parkplatz gelotst und stundenlang festgehalten. Solange, bis die offiziellen Reden in Ravensbrück und Sachsenhausen zu Ende waren.

„Wir hatten die Anweisung, alle potentiellen Störer fernzuhalten, schließlich trugen die Veranstaltungen einen würdigen Charakter“, bemüht sich Rudi Sonntag, Pressesprecher der zuständigen Polizeidirektion von Oranienburg, um eine Erklärung. Für ihn nehmen sich die Abfangaktionen nachgerade harmlos aus: „Bei 10.000 Teilnehmern sind 127 doch nicht viel.“ Die Anweisung für die „Platzverweise“ hatte der Innenminister von Brandenburg gegeben. Die Landesregierung hatte sich für das Wochenende das Hausrecht in beiden Gedenkstätten ausbedungen.

Bei der Ausübung des Hausrechts gingen die Beamten durchaus wahllos vor. Kriterien, wer potentieller Störer sei, weiß auch Sonntag nicht zu nennen. „Die Beamten vor Ort kennen doch ihre Klientel“, erklärt er unbekümmert. Im Hause Ziel hielt man sich gestern bedeckt und gab auch auf Nachfrage keine Stellungnahme ab.

Dabei hatten die Polizisten genaue Anweisung, welche Personen sie abfangen sollten. Eine Gruppe StudentInnen aus Wuppertal, die sich am Samstag auf den Weg gemacht hatte, wurde am Sonntag morgen von einer Polizeistreife vor ihrer Jugendherberge in Empfang genommen. Stundenlang mußten sie auf einem Parkplatz warten. Als Begründung wurde ihnen gesagt, es lägen „Erkenntnisse“ vor. Welcher Art, das verschwiegen die Beamten. Statt Auskunft zu geben, geleiteten sie die Gruppe zu einer Polizeikaserne im nahen Gransee. Dort ließen sie sie auf dem Hof warten. Dabei drängte die Zeit. Einige der mitreisenden Frauen waren vom Lagerkomitee der Frauen in Ravensbrück gebeten worden, Kränze niederzulegen. „Doch auch davon ließen sich die Polizisten nicht beeindrucken“, sagt Jutta Scheel, eine mitreisende Studentin.

Gegen 16.30 Uhr, als die offiziellen Reden beendet waren, ging die Reise weiter. Eskortiert von zwei Polizeistreifen, wurde der Bus an Oranienburg vorbeigeleitet und an der Landesgrenze zu Sachsen- Anhalt von den Polizisten entlassen. Polizeisprecher Sonntag rechtfertigt die Aktion. Die Gruppe sei vor Wochen vom Landeskriminalamt Düsseldorf als linksradikal anvisiert worden. Annette Rogalla