Kein Platz für die „Locke im Wind“

In Friedrichshain regt sich Widerstand gegen die geplante Umbenennung des Bersarinplatzes / Im Bezirk werden für den ersten Berliner Stadtkommandanten Ehrenbürgerwürden gefordert  ■ Von Kathi Seefeld

Eine „Locke im Wind“ wurde er genannt, eine Art Sowjet-Rocker. Andere sagen über ihn: Er hat für die Zivilbevölkerung das Schlimmste verhindert. Mit seiner legendären Harley Davidson unterm Hintern habe er sich eben diesen für die BerlinerInnen regelrecht aufgerissen. Er sorgte dafür, daß die Rache der sowjetischen Soldaten trotz Vergewaltigungen und Plünderungen weniger schrecklich ausfiel. Dank seiner Hilfe kamen bereits am 23. April 1945, als Hitler noch im Führerbunker hockte und Durchhalteparolen herausgab, 6.000 Tonnen Mehl, 1.250 Tonnen Fleisch, 12.000 Tonnen Kartoffeln, 75 Tonnen Speck, 55 Tonnen Salz und 55 Tonnen Zucker in kriegsgeschundene Berlin.

Die Rede ist von Nikolai Erastowitsch Bersarin, Berlins erstem Stadtkommandanten. Einen Tag, nachdem am 27. April unter seiner Führung die 5. Sowjetische Armee den Alexanderplatz erreicht hatte, übernahm er die Geschäfte in der deutschen Hauptstadt. Wenig später schickte die Armee ihren Fuhrpark los, um die Lebensmittelversorgung für die Berliner Bevölkerung zu sichern. Ironie der Geschichte: Ein Militärkonvoi, beladen mit Milch und Mehl, setzte dem Leben des Generaloberst am 16. Juni des gleichen Jahres ein jähes Ende. Bei einer allmorgendlichen Fahrt kam der 41jährige Bersarin mit seiner Harley Ecke Treskowallee/Alt Friedrichsfelde unter die Räder. Im Juli 1945 begann die Viermächte-Verwaltung Berlins, und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Fünfzig Jahre danach soll Bersarin nun gänzlich aus dem Straßenbild der Stadt verschwinden. Während Unbekannte schon vor drei Jahren die Büste des Generaloberst vor einer nicht ganz unbekannten Kneipe namens „Kommandantur“ im Prenzlauer Berg auf Nimmerwiedersehen verschwinden ließen, beabsichtigt der Senat nun, den nach Bersarin benannten Ort im Bezirk Friedrichshain in Baltenplatz rückzubenennen. Geschehen soll dies zum 1. November, nach den Wahlen in der Stadt. Zwar sind Neu- und Umbenennungen laut Berliner Straßengesetz Bezirksangelegenheit. Doch, so der Staatssekretär im Verkehrssenat, Ingo Schmitt, man habe eingegriffen, um endlich einen Schlußstrich unter die Zeit kommunistischer Namen zu ziehen. „Sie passen nicht in die Bundeshauptstadt.“

Mit einer Umbenennung der Bersarinstraße in Petersburger Straße zeigten sich die Friedrichshainer vor drei Jahren ja noch einverstanden. Ihren Bersarinplatz, dem sie gerade mittels Anwohnerspenden ein neues Outfit verleihen, wollen sie sich allerdings nicht nehmen lassen. Er werde der Weisung des Senats nicht nachkommen, erklärt Bürgermeister Helios Mendiburu (SPD). Bodenlose Arroganz sei die Absicht, gerade angesichts des 50. Jahrestages der Befreiung den Namen Bersarins tilgen zu wollen. Benannt nach dem ersten Stadtkommandanten wurde der Platz darüber hinaus schon im Oktober 1946, also vor Gründung der DDR, auf der Basis eines gesamtberliner Magistratsbeschlusses. Mitgetragen auch von der legendären Sozialdemokratin Luise Schröder. Und mehr noch: Die Friedrichshainer Bezirksverordneten beschlossen mehrheitlich, sich bei Senat und Abgeordnetenhaus dafür einzusetzen, daß der Generaloberst ins Ehrenbuch der Stadt eingetragen wird.

Bereits am 2. Mai 1965 war Bersarin posthum auf die seit der Teilung vom Ostberliner Magistrat eigenständig geführte Liste gesetzt worden, wenn auch erst zwei Tag nach der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an elf weitere sowjetische Militärs. Ob es daran lag, daß Bersarin in seiner unkonventionellen Art nicht in gängige Heldenvorstellungen paßte, darüber kann nur spekuliert werden. „Alles, was man über ihn weiß, vermittelt den Eindruck, daß er sich in wenigen Wochen seiner Berliner Tätigkeit mit dem Amt zu identifizieren begann, daß ihm die Leistung wichtiger war als die Ideologie.“ So schrieb Erich Kuby in seinem Buch „Die Russen in Berlin“.

Bersarin im Zuge der Wiedervereinigung auf die gemeinsame Ehrenbürgerliste zu setzen, wurde nach Senats- und Abgeordnetenhausbeschlüssen im Jahr 1992 abgelehnt.

Für die Gegner jeglicher Würdigung Bersarins ist dergleichen nicht von Belang. Erinnert wird dann schon lieber an seinen Befehl Nr. 4, der besagte, daß ab dem 20. Mai 1945 in Berlin die Moskauer Zeit einzuführen sei. Zwar konnte sich die gewünschte Zeitverschiebung in Berlin nicht durchsetzen, aber die „Moskauer Zeit“ blieb dem Osten der Stadt letztlich bis zum Herbst 1989 erhalten.