Erzwungene Kontinuitätslinien

Zwiespältige Erinnerungsästhetik mit unterschwellig pädagogischem Subtext: „Verzweigte Zeit“ – eine Ausstellung mit Fotografien von Beate Passow im Dortmunder Museum am Ostwall  ■ Von Ingo Arend

Eine lauschige Idylle im Grünen. Ein sonnenbeschienener Gartentisch. Es riecht nach Kaffee und Kuchen. Nur nebenbei kommt der Schrecken: Trägt nicht der zwischen weinumrankten Gartenmauern ausgehängte Mantel blaue Streifen und das rote Dreieck der politischen KZ-Häftlinge? Und ist nicht in die blütenweiße Tischdecke der Spruch „Arbeit macht frei“ eingestickt? Auf der Fotografie von Beate Passow meint man etwas von dem zu sehen, was Hannah Arendt in ihrem Bericht über den Jerusalemer Prozeß gegen den nationalsozialistischen Massenmörder Adolf Eichmann die „Banalität des Bösen“ nannte. Wie ein stechender Schmerz überfällt einen der Gedanke, daß die Nazi- Barbarei im verunsicherten Kleinbürgertum wuchs.

Häftlingsnummern als Erinnerungszeichen

Seit ihrer Zeit an der Münchner Kunstakademie Anfang der siebziger Jahre sieht sich die 1945 geborene Beate Passow als politische Künstlerin. Mit einem „Goldenen Hochsitz“ gegen den Jäger Franz Josef Strauß fing es an. Anders als Kollegen wie Hans Haacke oder Klaus Staeck will sie nicht plakativ anprangern, sondern emotional verunsichern. Mit dem irritierenden Bild des KZ-Mantels will Passow aufs Glatteis führen, eine Harmlosigkeit vorspielen. Doch ihre Arbeit, die das Dortmunder Museum am Ostwall in einer Retrospektive zeigt, spiegelt exemplarisch Widersprüche politischer Erinnerungsästhetik.

Den KZ-Mantel für ihr gestelltes Foto erstand die Künstlerin, wie sie sagt, „entsetzt“ auf einem Pariser Flohmarkt. Zum einen ist hier die Frage problematisch, ob seine Verwendung in der Fotografie den mit ihm verbundenen historischen Kontext nicht ästhetisiert. Andererseits wirkt das Material hier immerhin als Gedächtnis, zeigt, wieviel unbewältigte Vergangenheit immer noch im Alltag präsent ist. Typisch ist auch die Angst vor Erinnerungsverlust im fünfzigsten Jahr nach der Kapitulation: Beate Passow hat begonnen, auf Farbfotos von Unterarmen der KZ-Überlebenden deren Häftlingsnummern als Erinnerungszeichen zu dokumentieren. Nüchtern setzen sie das singuläre Schicksal ins Bild. Freilich eine Erinnerungsarbeit, von der Ruth Klüger mit sarkastischem Blick auf die Erhaltung von Auschwitz sinngemäß gesagt hat, daß sie mehr den Überlebenden helfen soll, als daß sie den Toten noch nützt. Ein anderes ist das Projekt „Wunden der Erinnerung“, das am 8. Mai 1995 endet. Zusammen mit dem Münchner Künstler Andreas von Weizsäcker und einem Fotografen der Düsseldorfer Becher-Schule hat Beate Passow in den an Deutschland angrenzenden Ländern Kriegsspuren – Einschüsse an der ehemaligen Warschauer Nationalbank oder in den Büchern einer Prager Bibliothek etwa – mit schlichten Glasscheiben in den jeweiligen Landessprachen markiert.

Die Probleme von Passows kritischer Erinnerung beginnen da, wo sie auf die politische Gegenwart von heute zielt. In einem Glashaus hängen zwei Bilder von Adolf Eichmann. Das – nicht ganz neue – Mittel der Lichtreklame, auf denen die Namen von Konzentrationslagern wie Mauthausen, Sobibor, Maidanek rot aufleuchten, steht für die Perfektion dessen, was Hannah Arendt in ihrem Prozeßbericht „Verwaltungsmassenmord“ genannt hat. Über einen Kopfhörer kann man die Stimme des niederländischen Schriftstellers Harry Mulisch hören, der eigens für die Arbeit noch einmal die 15 Punkte umfassende Anklageschrift gegen Eichmann verliest. Mulisch war damals in Jerusalem Prozeßbeobachter. Das Glashaus – Kaufhausfertigware für den Garten – spielt auf den Glaskasten an, in dem Eichmann während seines Prozesses sitzen mußte, aber auch auf ein Gewächshaus. Die Multimedia-Installation entstand, als bei der Münchner Stadtratswahl 1990 massive Stimmengewinne der Republikaner befürchtet wurden.

Unvergleichbares vor- schnell parallelisiert

Eichmann galt Passow als „Inbegriff des guten deutschen Pflichterfüllers“. Kleinbürgerliche Orientierungen, die sie bei den Münchner Republikanern wiedergefunden haben will. So weit mag man den Kontinuitätslinien gerade noch folgen. Wo sie weitergeht, kommt Passow in große Relativierungsprobleme. Auf dem Foto einer gutsituierten älteren Dame im Sessel erkennt man an deren Unterarm die Häftlingsnummer. Daneben das Bild einer jungen Frau, blond, deutsch, Rückansicht. Die Schnittverletzungen an ihrem Unterarm stammen von einem Selbstmordversuch. Einerseits geht es Passow um die existentielle Erfahrung Tod. Andererseits spricht sie vom „Nicht-leben-können“ in Deutschland. Weil ihr dennoch ein assoziativer Freiraum in der Kunst wichtig ist, wurde das Porträtdoppel der zwei Frauen getrennt gehängt, wie Passow betont. Trotzdem erscheinen die zwei nicht vergleichbaren Gewalterfahrungen hier vorschnell parallelisiert. Es ist die Art, in der die Fotografin bei beiden Bildern mit den Details auf die gleiche Weise umgeht. Diese ebenfalls bei anderen inszenierten Fotoarbeiten durchscheinende, gefährliche Gleichsetzung verrät auch ihr Bild mit dem KZ-Mantel. Den roten Stern für die politischen KZ-Häftlinge hat Passow in der Arbeit aus dem Jahre 1993 unter anderem deshalb als Motiv ausgewählt, um gegen die deutsche Kommunistenhatz nach der deutschen Vereinigung zu protestieren. Doch dieses Bild ist ein politisch wie ästhetisch unakzeptabler Vergleich. Gerade weil die staatsöffentliche Erinnerungskultur die historischen Unterschiede zugunsten einer diffusen Versöhnungstrauer immer weiter einebnet, darf alternative Erinnerungs- und Politisierungsästhetik die entscheidenden Unterschiede nicht miteinander abgleichen und verwischen, sondern muß sie immer wieder neu freilegen.

„Verzweigte Zeit“ hat Beate Passow ihre Ausstellung etwas aufgesetzt genannt, weil in vielen Arbeiten Zeit eine Rolle spielt. Den KZ-Mantel im Garten hat sie im Frühjahr und im Herbst aufgenommen. Die Gewalt kehrt wieder wie die Jahreszeiten. Zwar legt Passow Wert auf stille, formalästhetische Perfektion. Gleichwohl atmen alle ihre Arbeiten diesen unterschwelligen pädagogischen Subtext nach dem Motto: „Der Schoß ist fruchtbar noch“. So wirkt die Titelgebung wie die nachträgliche Poetisierung eines explizit politischen ×uvres. Passows Stärke liegt da, wo das staatsmännisch wie pathetisch flammende „Nie wieder!“ nicht hindringt. Das kaschiert nämlich nur den Widerspruch zwischen öffentlichem Ritual und privater Verdrängung, die immer noch tief sitzt.

„Verzweigte Zeit“. Museum am Ostwall Dortmund, bis 7. Mai. Katalog der Edition Braus 39 DM.