Angeblich überlastete Druckereien

■ In Weißrußland werden alle Zeitungen mit hoher Auflage noch immer von der Regierung kontrolliert. Vor den Wahlen wird deutlich: Medienkritik ist unerwünscht

Das weißrussische Parlament, das am 14. Mai neu gewählt wird, ist noch eines der letzten der alten Obersten Sowjets. Wie damals üblich, enthält es eine Anzahl „reservierter“ Sitze für bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Noch bei den letzten Wahlen vom März 1990 wurden den Kommunisten eindeutige Vorteile verschafft, was dazu führte, daß von 360 Sitzen insgesamt weniger als 40 an Demokraten neuen Stils gingen. Die Wahlen im Mai werden wohl gewiß die Kriterien der internationalen Beobachter erfüllen. Aber, so weißrussische Demokraten, dem Wahlkampf davor fehlte eindeutig eine der wesentlichen Einrichtungen einer wahren Demokratie: eine unabhängige Presse und gleicher Zugang aller Parteien zu Rundfunk und Fernsehen.

In Weißrußland werden nämlich alle Zeitungen mit einigermaßen flächendeckender Auflage größtenteils noch immer von der Regierung kontrolliert. Sie unterstützt sie finanziell, und obwohl diese Hilfe durch die galoppierende Inflation nicht mehr viel wert ist, erwartet sie dafür Linientreue. Unabhängige Zeitungen sind in Weißrußland zwar legal, aber Geld- und Papiermangel beschränken sie auf gelegentliches, höchstens wöchentliches Erscheinen. Zudem gibt es in ganz Weißrußland nur eine einzige Druckerei mit einigermaßen adäquater und moderner Technik, Dom Druku. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 1994 warnte Dom Druku die unabhängige weißrussischsprachige Wochenzeitung Swoboda (Freiheit), daß „Arbeitsdruck“ die zukünftige Produktion gefährde. Die Alternativen seien, im Ausland zu drucken, was eine Bezahlung in harter Währung bedeuten würde – oder auf eine freundliche, aber technologisch vorsintflutliche Provinzdruckerei auszuweichen.

Die Wahl des populistischen Alexandr Lukasenka zum Präsidenten im Juli 1994 hat diese Situation leider nicht verbessert. Lukasenkas Wahlprogramm betonte zwar die Notwendigkeit ökonomischer Reformen und des Kampfes gegen Korruption, von deren Durchsetzung bisher allerdings wenig zu merken ist. Deshalb untersuchte eine Gruppe von 200 juristischen Experten Korruptionsvorwürfe gegen das vorgeblich Weißer-als-weiß-Team des Präsidenten. Am 21. Dezember letzten Jahres begann der demokratische Abgeordnete Siarhiej Antontschik mit der Verlesung des Berichts im Parlament. Prompt kam die Reaktion der Regierung: Die Direktübertragung aus der Kammer wurde unterbrochen, und am folgenden Tag erschienen viele Zeitungen mit weißen Flecken. In den Tagen darauf erschienen ein paar wichtige Zeitungen des Landes überhaupt nicht, und wegen der bevorstehenden Weihnachtsferien und weltweiter Aufmerksamkeit für den Krieg gegen Tschetschenien gelang es den weißrussischen Menschenrechtsaktivisten nicht, das Ausland auf diese Situation aufmerksam zu machen.

Präsident Lukasenka dementierte derweil in seiner Neujahrsansprache, daß es irgendwelche Repressionen gegen die Presse gegeben habe – obwohl zu dem Zeitpunkt die zensierten Ausgaben zum Teil noch an den Kiosken lagen. Gleichzeitig ordnete er die Entlassung des Chefredakteurs der führenden russischsprachigen Tageszeitung Sowjetskaja Belorussia an, angeblich wegen Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Devisen, in Wirklichkeit jedoch wegen der Antontschik-Affäre und der klar geäußerten Absicht der Zeitungsleitung, auf staatliche Subventionen künftig zu verzichten. Der Antontschik-Report wurde schließlich in voller Länge von Swoboda in einer Extra-Ausgabe und vermutlich im Ausland gedruckt. Woraufhin Swoboda ihren Vertrag mit Dom Druku verlor, ebenso wie übrigens drei andere russischsprachige Zeitungen, Femida, Belorusskaja Delowaja Gaseta und Gaseta Andreja Klimowa.

Dieser Angriff auf die russischsprachige Presse, provoziert durch die Antontschik-Affäre, macht deutlich, daß der Präsident und seine Leute nicht gewillt sind, mediale Kritik zu dulden, egal in welcher Sprache sie daherkommt. Und das, obwohl sie ebenso heftige Befürworter enger Beziehungen zu Rußland sind wie die Ex-Kommunisten und der russischen Sprache neben dem Weißrussischen einen offiziellen Status einräumen wollen. Vera Rich

Die Autorin lebt in London und ist Expertin für Weißrußland und die Ukraine.