Vom Frieden sprechen

Die Zensur von Sinn Féin in britischen Medien ist aufgehoben, die jahrzehntelange Praxis von Fehlinformationen wirkt aber noch immer nach  ■ Von Gerry Adams

Ausgerechnet Margaret Thatcher war es, die bei einem Besuch in Polen sagte: „Der Erfolg einer modernen Gesellschaft hängt von einer freien und offenen Diskussion ab. Wer sie unterdrückt, begibt sich der Möglichkeiten, auf Veränderungswünsche zu reagieren.“ Am selben Tag, dem 19. Oktober 1988, erließ die britische Regierung Zensurbestimmungen gegen Sinn Féin und verhinderte damit genau die Art von freier und offener Diskussion, die man braucht, um die öffentliche und politisch entscheidende Meinung Großbritanniens bezüglich der fundamentalen Veränderungswünsche in Irland zu beeinflussen. Man mache sich klar, wieviel weiter wir auf dem Weg zu einer Akzeptanz Irlands ohne Zensur und mediale Fehlinformationen, die den Kern des Problem permanent verschleiert haben, inzwischen sein könnten.

In Großbritannien scheint man zu glauben, daß es diese Zensur erst seit 1988 gibt und daß die Aufhebung der Restriktionen gegen Sinn Féin Ende letzten Jahres bedeutet, daß die Zensur eine Sache der Vergangenheit sei. Mir wäre wohler, wenn das jetzt, in diesem höchst bedeutsamen Moment des Friedensprozesses, stimmte. Aber es stimmt eben nicht. Man kann nicht per Gesetz eine Zensurbestimmung aufheben und erwarten, daß die britischen Journalisten und Sender den Mißstand, der durch jahrzehntelange Fehlinformationen entstanden ist, über Nacht wegzaubern könnten.

Außerdem sollte man zur Kenntnis nehmen, daß eine verantwortungslose und oft genug geradezu böswillige Berichterstattung zu dem Konflikt beigetragen hat und teilweise loyalistische [gemeinhin auch als protestantisch bezeichnete; Anm. d. Ü.] Paramilitärs, die britische Armee und die Polizei (RUC) zu einer Verfolgung unserer Mitglieder und Sympathisanten getrieben hat. Es wäre absolut unrealistisch zu erwarten, daß solche quasi zur Struktur gewordenen Konditionierungen und Ressentiments gegen Republikaner [gemeinhin auch als Katholiken oder Nationalisten bezeichnet; Anm. d. Ü.] automatisch auf neutral geschaltet werden könnten.

Der überwiegende Anteil der Bewohner dieser Inseln hat ganz wesentliche Veränderungen, im Herzen und im Kopf, erfahren – er erhofft und erwartet jetzt einen dauerhaften Frieden. Die Leute erwarten aber auch, daß jede mögliche Gelegenheit und jeder denkbare Weg zur Stärkung dieses neuen Friedens erkundet wird. An diesem Scheidepunkt in der Geschichte unserer beiden Länder haben sehr viele Menschen ein nie dagewesenes Gefühl, daß dieser Prozeß nicht behindert, nicht verspielt werden darf: weder von den beiden Regierungen, noch von den vielen politischen Parteien, den Medien oder irgendeinem anderen Beteiligten in diesem Konflikt.

Ich möchte die britischen Medien, die eine große Verantwortung im Friedensprozeß tragen, auffordern, sich der Herausforderung dieser neuen Ära in den anglo-irischen Beziehungen zu stellen und die Rolle einer wahrhaft freien und offenen Presse zu spielen. Ein positiver Schritt in die richtige Richtung wäre die sofortige Aufhebung der immer noch bestehenden Restriktionen gegenüber Sprechern von Sinn Féin in Studiodiskussionen und Interviews. Zur Zeit ist es so, daß sich Rundfunk- und Fernsehleute – vielleicht nicht allzu ungern – dem Diktat der Unionisten beugen, Leute von Sinn Féin getrennt von ihnen zu interviewen – weil erstere sich andernfalls der Diskussion verweigern. Wie kommt es, daß jedermann findet, Sinn Féin solle sich einem solchen Ansinnen beugen? Weder drohen wir, noch stellen wir Bedingungen! Wäre es nicht Aufgabe der Medien, ein Forum zu schaffen, in dem sich die Diskutanten als Gleiche begegnen könnten? Eine solche Politik der offenen Tür würde ganz wesentlich zum Friedensprozeß beitragen. Schließlich ist es ja doch unvermeidlich, daß wir miteinander über unsere Zukunft reden.

Es gibt allgemein die Auffassung, daß die Aufhebung der Senderestriktionen durch die britische Regierung deren Bereitschaft zum Friedensprozeß bewies. Und obwohl das einer genauen Überprüfung nicht standhält, hat Sinn Féin, zusammen mit vielen politischen und Menschenrechtsorganisationen, diese Aufhebung natürlich begrüßt. Es ist wichtig, daß man, besonders in Großbritannien, begreift, warum dieses Verbot schließlich aufgehoben wurde. Denn von Anfang an bereitete es der britischen Regierung – die ständig rechtfertigen mußte, was nicht zu rechtfertigen war – viel Kopfschmerzen. Zensur nämlich gilt gemeinhin als politisches Instrument von Diktaturen und als einer „demokratischen Regierung“ unwürdig.

Die problematische Seite der Senderestriktionen wurde meiner Ansicht nach besonders bei meinem USA-Besuch im Februar letzten Jahres deutlich. Die amerikanischen Medien nämlich schlugen vor allem Kapital aus der Tatsache, daß sie „die Stimme des Mannes, die in Großbritannien verboten ist“, zu Gehör bringen konnten – eine echte Peinlichkeit für die britische Regierung. Auch in den darauffolgenden Wochen und Monaten ließ dieser weiter andauernde Zustand der Zensur ihre Verpflichtung auf den Friedensprozeß zusätzlich fraglich erscheinen.

Wir sind immer noch weit davon entfernt, daß die notwendige Debatte in einem Klima wirklicher Offenheit stattfinden kann. Die Medien haben bei der Gestaltung und Beeinflussung der Ereignisse große Verantwortung. Wenn der Friedensprozeß in die nächste Phase tritt, in der alle mit allen reden sollen, werden sie hoffentlich diese Rolle spielen – nicht zuletzt durch Wiedergutmachung alter Fehler und Zurkenntnisnahme neuer Entwicklungen.

Gerry Adams ist Präsident von Sinn Féin; seine Stimme durfte wie die vieler, auch loyaler „Terroristen“ im britischen Rundfunk und Fernsehen seit 1988 nicht übertragen werden. Seit September 1994 ist dieses Verbot aufgehoben.