Karadžić will einen Schauprozeß

Der Führer der Serben Bosniens möchte die bei Sarajevo gefangengenommenen Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen wegen „antiserbischer Propaganda“ vor Gericht stellen  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Die von bosnischen Serben bei Sarajevo gefangengenommenen humanitären Helfer aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und den USA werden voraussichtlich vor ein serbisches Gericht gestellt. Ein Sprecher der Unprofor in Sarajevo erklärte, die Anklage werde vermutlich auf „Kollaboration mit der bosnischen Armee“ und „antiserbische Propaganda“ lauten.

Im Fall des für das „Deutsche Hilfswerk“ arbeitenden Ludwig Kraus sind frühere Versprechungen, ihn vor dem orthodoxen Osterfest freizulassen, fallengelassen worden. Nach Angaben des Unprofor-Sprechers könnte Kraus zusammen mit zwei Schweizern, der für die UNO-Hilfsorganisation Unesco arbeitenden Marija Wernle-Matic sowie dem Mitarbeiter des Unesco-Projektes „Kulturbrücke Schweiz–Sarajevo“, Simon Gerber, vor Gericht gestellt werden. Die Voruntersuchungen seien – so Berichte aus bosnisch-serbischen Kreisen – abgeschlossen worden.

Die vier französischen und der US-amerikanische Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Apotheker ohne Grenzen“, die Anfang März festgenommen wurden, werden voraussichtlch in einem anderen Verfahren abgeurteilt werden.

Die neue „Linie“ der bosnischen Serben wurde schon vor einigen Tagen dem serbisch-schweizerischen Verleger Wladimir Dimitrijević von Serbenchef Radovan Karadžić persönlich mitgeteilt. Gern würde er sich für die Freilassung der Gefangenen aus der Schweiz einsetzen, hatte Karadžić nach Angaben des Verlegers erklärt, doch dies stehe nicht mehr in seiner Macht. „Das serbische Volk“ sei „erbittert“ über die „antiserbische Propaganda“ dieser Leute.

Abgesehen von dem Sprachgebrauch, der an kommunistische Floskeln erinnert – antikommunistische Propaganda, Erbitterung des Volkes, Kollaboration mit dem Feind – und über den rot-braunen Bewußtseinszustand der serbischen Nationalisten Aufschluß gibt, haben die von den bosnischen Serben angestrebten Gerichtsprozesse noch eine andere Tendenz.

Arbeit der Bürgerrechtler stört die Serben

Nach Ansicht von Mitarbeitern humanitärer Organisationen sind die vielfachen Aktivitäten von Menschenrechtsgruppen den Serben ein wachsendes Ärgernis. Das Netzwerk der unabhängigen Persönlichkeiten, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen, die von Beginn des Krieges an gegen die Menschenrechtsverletzungen und das Projekt der „ethnischen Säuberungen“ aufgetreten sind, haben ein Echo in der europäischen Öffentlichkeit gefunden, das Karadžić in seinem Bestreben, Bosnien zu teilen, behindert. Anders als die staatliche Außenpolitik vieler Länder und anders als auch die UNO verfügen diese Gruppen über „das lange Gedächtnis“, wie es ein Schweizer Schriftsteller ausdrückte.

Daher, so die Menschenrechtler, hätten die serbischen Politiker und der serbische Geheimdienst bereits mehrmals versucht, dieses Netzwerk ins Zwielicht zu rücken: Mit gezielten Kampagnen gegen die Berichterstattung über die Vergewaltigungen und die Konzentrationslager sollte nachgewiesen werden, daß die Journalisten antiserbische Propaganda betreiben. Die Serben als Opfer und nicht als Täter darzustellen und so einen Umschwung in der Öffentlichen Meinung in Europa und den USA zu bewirken, das war das Ziel.

Als dies angesichts der inzwischen gesammelten erdrückenden Beweise nicht gelang, legten die Serben, so die These, eine schärfere Gangart ein. Die gefangenen humanitären Helfer, ob sie nun an diesem Netzwerk persönlich beteiligt seien oder nicht, stünden stellvertretend für alle anderen vor Gericht.

Daß das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag am Montag erklärte, nun auch gegen Karadžić und zwei weitere führende Vertreter der bosnischen Serben zu ermitteln, dürfte die Lage der gefangengehaltenen Helfer zusätzlich belasten.

Für Karadžić ändert sich durch die Untersuchungen des Tribunals vorerst dagegen wenig. Die UNO machte bereits deutlich, daß sie den Serbenchef weiterhin an den Verhandlungen für eine Beendigung des Krieges in Bosnien beteiligen wird.