Behindern statt verhindern

Zäh war der Widerstand der WendländerInnen, als der Castor in Dannenberg ankam. Nach Gorleben konnte der Castor nur im Schrittempo fahren  ■ Aus Gorleben Jürgen Voges

„Seht sie euch an! Wie die Feldherrn stehen sie da! Das ist der Atomstaat!“ ruft BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Es ist 11.35 Uhr. Die Diesellok schiebt den Wagen mit dem blauverpackten Castor langsam unter den Verladekran. Ehmkes Wut gilt der Gruppe BGS-Beamter, die breitbeinig und triumphierend auf dem Wagen neben dem Behälter steht.

Ein Graben und dahinter die Polizeiketten trennen die 200 AKW-GegnerInnen von dem Gelände mit dem großen hellgrünen Kran, der nun in einer umständlichen Prozedur den Castor samt seiner hochradioaktiven Fracht auf einen flachen elfachsigen Anhänger heben soll. Knapp 20 Kilometer sind es noch von hier – von der Castor-Verladestation in Dannenberg – bis zum Tor des Zwischenlagers im Wald bei Gorleben.

Ein Großteil der jungen AKW- GegnerInnen, die die ganze Nacht hindurch immer wieder Schienen oder Straßen blockiert haben, hat sich schon auf den Weg gemacht, um sich durch den Wald zum weiträumig abgesperrten Zwischenlagergelände vorzuarbeiten.

Natürlich wissen die AktivistInnen, daß sie die Fahrt ins Zwischenlager nur „behindern und nicht mehr verhindern“ können.

Genaugenommen wissen sie es schon seit dem Montagabend, seit im Dannenberger Verladenix- Camp über Lautsprecher die Abfahrt des Zuges gemeldet wurde. „Das ist der Fadenriß“, hatte Wolgang Ehmke entsetzt gesagt, als die Abfahrt definitiv von Greenpeace am Telefon bestätigt worden war. „Ich habe nicht für möglich gehalten, daß Gerhard Schröder sich so demontieren läßt, habe immer noch gehofft, daß da auf der Bonner Ebene zwischen Schröder und Merkel noch etwas passiert.“

Als am nächsten Tag feststeht, daß in der Bonner Konsensrunde nichts herausgekommen ist, lautet seine Antwort nur noch: „Wer ist dieser Schröder, der hat doch keine Ahnung von dem, was die Leute hier wollen und fühlen?“

Daß die Lüneburger bei Hitzacker auf der Bahnstrecke sind und daß andere Leute in Zernien auf das zweite mögliche Castor- Gleis wollten, war dann auf der Verladenix-Wiese nach der Schreckensmeldung noch verkündet worden, und danach wußten alle, was zu tun war. Neben der Blockade in Hitzacker brannte bald Material und dann auch ein Güterwagen. An dem kaum bewachten Bahnübergang in Zernien trudelten nach und nach 700 BlockiererInnen ein. Kleine Gruppen gingen auf den Schienen weiter, um mit den Händen die Schottersteine wegzuwühlen, andere Gruppen arbeiteten von vornherein ganz allein, gossen etwa die Schienen mit Schnellzement ein.

Und ständig klickerten die Schottersteine

Am Bahnübergang Zernien saßen sie dann auf den Schienen. Die Jugendlichen sangen zur Klampfe „Wehrt euch, leistet Widerstand“ oder „We shall overcome“. Im Dunkeln klickerten ständig die Schottersteine, die aus dem Gleisbett gegraben wurden. Als dann Polizei und BGS massiv aufzogen, gab es auch Verfolgungsjagden gegen einzelne – aber vor allem diskutierten die AnwohnerInnen und die altgedienten heimischen AKW-GegnerInnen schier endlos mit den behelmten grünen Truppen: „Strahlenkrebs, Leukämie“, der „Ausstieg, der kommen muß“, der „Atomstaat“, für den die Polizisten hier stehen, so lauten die Stichworte, und natürlich betont man immer und immer wieder die eigene Gewaltfreheit.

„Natürlich bin ich auch für den Ausstieg, aber irgendwo muß der Müll, der da ist, doch hin“, antwortet darauf ein massiger Einheitsführer aus Euskirchen. Bei aller Brutalität, für die in diesen Tagen vor allem die Polizisten aus Sachsen-Anhalt berüchtigt sind – auch bei den Kollegen –, scheinen auch in der Polizei die AtomenergiegegnerInnen in der Mehrheit zu sein.

In Zernien wurden die Blockierer erst weit nach Mitternacht in harter Handarbeit von der Polizei beiseite getragen, um Platz zu schaffen für einen gelben Motorwagen der Bahn, von dem aus sogleich die Reparaturarbeiten an der Strecke begannen. Schon im Morgengrauen waren dann in Dannenberg wieder die Schienen besetzt, doch die Räumung unter Knüppeleinsatz erfolgte auf der Stelle. Eine Stunde später standen dann auf der Straße Dannenberg– Gorleben 40 Traktoren quer. Als die Polizei die ersten beiseite fuhr, die Luft aus den Reifen ließ, trafen nach und nach wieder 300 AKW- GegnerInnen ein, kletterten auf die Traktoren, setzten sich zwischen sie. Verzweifelt klammerten sich Junge und Alte fest, als Berliner Polizei zupackte, Arme umdrehte, zerrte und wegschleifte. Viele weinten, als auch die letzten standhaft verteidigten Traktoren von der Straße geräumt waren und die Hoffnung auf einen Castor- Stopp endgültig Illusion wurde.

Und doch sammelten sich alle neben den Treckern wieder zu einer großen Sitzblockade auf der Fahrbahn. Die Berliner Polizisten mit den schwarzen Baretten, der Berliner „Schwarze Zug“, brachten nun ihren Wasserwerfer zum Einsatz. Nach drei Aufforderungen innerhalb von nur 8 Minuten kam der Befehl „Wasser marsch!“, danach bald „Den Druck steigern auf 12 Bar“, und nach und nach wurden die Blockierer von den beiden schmerzhaften Wasserfontänen von der Straße vertrieben.

Am Mittag, als viel mehr Kameras laufen, wird wieder per Hand geräumt. Eine gute Stunde kann die Sitzblockade an der Stichstraße zum Kran den Behälter aufhalten. Anschließend ist der nur im Schrittempo in Richtung Zwischenlager unterwegs. Polizei-Hundertschaften marschieren vorneweg.

Am Transportweg wird eine Granate gefunden

Der Widerstand wird wieder härter. In der Nähe von Gorleben, in einem Graben auf dem Transportweg, wird eine russische Granate gefunden. Sie wird gesprengt. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Schlagstock gegen die BlockiererInnen ein. Um 14.30 Uhr hat der Tieflader gerade 2 Kilometer Richtung Gorleben zurückgelegt. 18 Kilometer hat er noch vor sich. „Wenn das so weitergeht, sind wir erst am späten Abend im Zwischenlager“, sagt ein Polizeisprecher. Ursprünglich hatte die Polizei damit gerechnet, daß der Transport von Dannenberg nach Groleben nur zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen würde.

Derweil hat auch BI-Sprecher Ehmke die Fassung wiedergefunden: „Das wird ein Pyrrhussieg für die Gegenseite“, prophezeit er. „Die Mobilisierung der letzten Tage wird anhalten. Das alles hier wird der Anti-AKW-Bewegung einen neuen Schub geben.“ Wieviel hier im Wendland „ständig in Bewegung waren“, weiß er auch nicht genau. „Von dreitausend aufwärts“, lautet die Antwort. Natürlich ist es „keine Frage“, daß bei den nächsten Transporten wieder Protestaktionen laufen.

Während vor dem Gorlebener Zwischenlager noch Baumstämme geschleppt werden, ruft denn auch der BI-Lautsprecher im Verladenix-Camp schon zu den nächsten Demonstrationen auf. „Morgen 15 Uhr in Hamburg und am 13. Mai in Hannover“.