Der Richter und sein Alligator

■ Auch Sean Connery kann nicht mehr schlafen: „Im Sumpf des Verbrechens“ hilft nur noch Kopf ab / Die E-Stuhl-Lobby der Südstaaten goes marching on

Vor dem ehemaligen Kaufhaus Centrum am Alexanderplatz versucht ein Tom-Jones-Imitator die Leute für eine Tombola anzuwerben. Eine günstige Gelegenheit, ein bißchen Geld in meinem Nebenjob als Radioreporter zu verdienen und eine kleine Straßenumfrage zu starten. Radioredakteure mögen es, wenn „Originaltöne“ mit Musik unterlegt sind. Also fröhlich lächelnd ans Werk: „Sind Sie für die Todesstrafe?“ „Jooh, unter Umständen schon.“ Rund die Hälfte der Antwortenden sprechen sich für die Kopf-ab-Methode aus. Vor allem bei „Kindermord“ sind viele dafür (Musik: Shanana Nenanenana).

Der Amerikaner mag es nicht

Diese vielen werden sich im „Sumpf des Verbrechens“ richtig wohlfühlen. Denn in den Sümpfen von Florida ist mal wieder etwas passiert, für das irgend jemand büßen muß. Bei der Straßenumfrage sind die meisten immerhin dafür, daß die Schuld des Gehenkten „sicher“ sei. In dem neuesten Streifen mit dem ehemaligen Agenten Ihrer Majestät, Sean Connery, ist das zunächst nicht so. Trotzdem geraten wir – gedreht wurde in den Original-Sümpfen von Florida – vor allem in den Sumpf der E-Stuhl- Lobbyisten.

Munter streifen die Alligatoren um die Beine von Connery, alias Anwalt Paul Armstrong, der durchs Land zieht und Vorträge gegen die Todesstrafe hält. Nett von ihm. So möchten wir zunächst gar nicht, daß die schwimmenden Damenhandtäschchen ihn anknabbern. Zunächst. Denn Armstrong ist in heiliger Mission unterwegs: Er will die Unschuld des Schwarzen Bobby Earl Ferguson beweisen, der seit acht Jahren in der Todeszelle sitzt. Ferguson soll ein Kind umgebracht, vergewaltigt, zerstückelt haben. Das mag der Amerikaner nun gar nicht. Sein Geständnis hat netterweise ein anderer Schwarzer aus ihm rausgeprügelt. Der fiese Cop wird von Lawrence Fishburne gedoubelt. Ein erpreßtes Geständnis kann nicht wahr sein, und um uns endgültig für den schwarzen Bobby einzunehmen, hat man ihn gleich noch mit einem Hochschulabschluß ausgestattet. Und er ist nett zu seiner Mutter. Hollywood liebt seine Neger, wenn sie klug, schön und brav sind.

Spannend wird's erst nach über der Hälfte der Sumpferei, als Bobby von einem Berufungsgericht freigeprochen wird. Hatte schon zu Beginn Anwalt Armstrong bei einem Vortrag gegen die Todesstrafe angekündigt, wenn jemand seine Frau und Kinder anpacken sollte, wäre es wohl auch beim ihm mit der Liberalität vorbei, soll uns nun genau das praktisch vorgeführt werden. Der Freigesprochene macht sich, kaum ist er raus aus dem Gerichtssaal, straight an das Eingemachte des maroden US-Reiches und greift die holy family values direkt an: Frau und Kind werden schnurstracks im Auto entführt. Der endlich zu seinem bösen Selbst kommende Schwarze, schleppt die beiden (remember King Kong?) logischerweise in die Sümpfe, wo er auch schon das Kind erstochen, vergewaltigt, verscharrt hat. Diesmal ist es Nacht, Armstrong hat sich mit dem Brutalo-Bullen zu einem Fahndungskommando kurzgeschlossen. Vergessen, oder besser: im nachhinein gerechtfertigt, sind die Quälereien, die zu dem doch wahren Geständnis geführt haben.

Es kommt zum Wasserkampf

In einer Szene, die Regisseur Arne Glimcher bei Cape Fear (mit Robert De Niro) abgekupfert hat, kommt es zum Wasserkampf. Die Familie wird selbstredend nicht auf dem Hollywoodaltar geopfert. Das aber reicht den Auftraggebern dieses nicht gerade besonders subtilen Todesstrafenwerbefilmchens noch nicht: „Nun kannst du endlich wieder ruhig schlafen!“ Armstrong, ist sich da nicht sicher, denn wahrscheinlich rennen immer noch einige Gewalttäter lebend rum, die er lieber vom Alligator gefressen sähe: „Wir werden sehen.“ Andreas Becker

„Im Sumpf des Verbrechens“ (Just Cause). 102 Min., Regie: Arne Glimcher, mit Sean Connery, Laurence Fishburne, Kate Capeshaw, Blair Underwood