Mit dem Segen der Kirche getötet

■ Argentiniens Katholiken streiten über ihre Haltung zur Zeit der Militärdiktatur / Fünf Bischöfe fordern Reue über unterlassene Hilfe für Regimegegner / Bischofskonferenz ist sich jedoch keiner Schuld...

Rio de Janeiro (taz) – „Hat die Kirche genug zur Verteidigung der Menschenrechte getan? Zweifel sind angebracht. Wir werden unser Leben lang bereuen müssen, daß die Kirche mehr für die Rettung von Menschenleben hätte tun können“, erklärte zu Beginn des Monats eine Gruppe von fünf argentinischen Bischöfen in einem gemeinsamen Manifest. Mitten im argentinischen Wahlkampf ist die Diskussion über die „Beseitigung“ von Regimegegnern während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) wiederaufgeflackert. Auf der Anklagebank sitzt diesmal jedoch nicht die argentinische Regierung, sondern die katholische Kirche. Diese geriet unter Druck, als der ehemalige Korvettenkapitän Adolfo Scilingo im vergangenen März eingestand, an der Ermordung von 2.000 politischen Gefangenen beteiligt gewesen zu sein.

Die Häftlinge seien lebendigen Leibes von einem Hubschrauber aus ins Meer geworfen worden, sagte er. Katholische Priester hätten die Verantwortlichen für die Todesflüge gesegnet. Der damalige Vertreter des Papstes in Argentinien, Nuntius Pio Laghi, soll sogar das „Benedictum“ für die argentinischen Streitkräfte nach dem Putsch im Jahre 1976 ausgesprochen haben.

„Das öffentliche Schuldeingeständnis ist nur der erste Schritt auf dem Weg zur Versöhnung“, erklärt der argentinische Priester Luis Farinello. Die Kirche müsse sich generell fragen, warum sie überhaupt über Militärkaplane verfüge und Waffen segne, statt das Leben zu verteidigen.

Miguel Hesayne, Bischof von Viedma, erinnert sich an die „tragische“ Versammlung der „Mütter der Plaza de Mayo“, die im strömenden Regen vergeblich an die Kirchenportale klopften. „Einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, darf auch nicht der geringste Gefallen abgeschlagen werden“, bereut der Geistliche heute die abwehrende Haltung der katholischen Kirchenhierarchie gegenüber der Gruppe von Müttern, die bis heute im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires vor dem Regierungspalast gegen das „Verschwinden“ ihrer Kinder während der Militärdiktatur protestieren. „Doch leider“, so Bischof Hesayne im „Radio Mitre“, erreichen Mitgefühl und Reue nicht alle Sektoren der Kirche, auch nicht die argentinische Bischofskonferenz.

Deren Vorsitzender Emilio Bianchi di Carcano wies die Vorwürfe des ehemaligen Korvettenkapitäns Scilingo zurück. „Einen einheitlichen Beschluß, die Militärjunta zu unterstützen, gab es innerhalb der katholischen Kirche nicht“, versichert der Geistliche. Wenn sich ein Kirchenmitglied an militärischen Aktionen beteiligt habe, sei dies allein seine persönliche Verantwortung. Auch der Bischof von Mendoza, Candido Rubiolo, wandte sich gegen die „leichtfertigen Vorwürfe“ der fünf Bischöfe. Wenn trotz des guten Willens der überwiegenden Mehrheit der Kirchenvertreter einige Mitglieder den „Ausführenden der Gewalt nahegestanden haben“, würden sie entsprechend dem kanonischen Recht gerichtet.

Die fünf Unterzeichner des Manifestes hingegen wollen es nicht bei einer innerkirchlichen Auseinandersetzung belassen. „Die Kirche ist der Wahrheit verpflichtet, stellt der Bischof von Quilmes, Jorge Novak, in einem Interview mit der lokalen Zeitung Perspectiva Sur klar. Die Familienangehörigen der Verschwundenen hätten ein Recht darauf zu wissen, wo ihre Kinder abgeblieben seien.

Bischof Hesayne geht noch einen Schritt weiter: „Reue reicht nicht aus“, erklärte er gegenüber der argentinischen Zeitung Pagina/12. „Wenn die Folterer einen Priester rufen und beichten, sind ihre Verbrechen dadurch nicht gesühnt, wie zum Beispiel Präsident Menem meint.“ Menem, der am 14. Mai erneut für die Wahl zum Staatsoberhaupt kandidiert, hatte 1990 eine Generalamnestie verhängt. „Wer seine Sünden bereut, muß sie auch wiedergutmachen“, lehrte der Bischof von Viedma. Alles andere sei weder christlich noch katholisch. Astrid Prange