Die Idylle von Tschernobyl

■ Wie russische Medien über das Katastrophengebiet in der Ukraine berichten

Moskau (taz) – Die russischen Medien kümmern sich so gut wie nicht um den neunten Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe. Das staatliche Fernsehen zeigte gestern gerade mal eine „Dokumentation“, die das Leben in der Region anpreist. Der Film war im Gemeinschaftsstudio der GUS in Kiew produziert worden und stand unter dem Motto: Ungestörtes Leben im Naturparadies Tschernobyl. In einer beispiellosen Propagandaschlacht wurde die völlige Gefahrlosigkeit dieser Region beschrieben. Elegische Einstellungen zeigten die grünen Wiesen und blauen Bäche, in denen sich die Frühlingssonne spiegelte. Kinder hopsten unbeschwert im Sand, Mütter lobten die ausgezeichneten Lebensbedingungen. Angst um die Gesundheit ihrer Kinder hegten sie nicht, durften sie vor den Kameras erzählen. Im Gegenteil, es sei einer der schönsten Orte der Welt: Wo sonst könne man so unbeschwert leben? Ein Arbeiter berichtete stolz von seinem Enkel, dem es besser ginge als Stadtkindern. Denn das, was die einatmen, sei ja gefährlich – die Region Tschernobyl dagegen sei wie permanente Sommerfrische. Am Ende war es ein hochgestellter Kraftwerksmitarbeiter, der die Rätsel um Tschernobyl löste: Der Hauptfeind sei der Westen, der das Kraftwerk madigredete. Doch dem Westen gehe es nur darum, Konkurrenz auf dem Energiemarkt auszuschalten.

Insgesamt gab sich kaum eine Zeitung mit dem Thema ab. Rußlands Öffentlichkeit kümmert sich nur wenig um die Gefahren der Kernenergie. Wenn es eine Gemeinsamkeit zwischen Volk und Führung gibt, dann mit Sicherheit in der Lässigkeit und Unbekümmertheit, die den Umgang mit Kerntechnik bestimmt. Noch immer wirkt ein ungetrübter Fortschrittsglaube. Eigenartigerweise überwiegen Fragen der Wirtschaftlichkeit Sicherheitsbedenken und Gesundheitsschäden. Bis heute wird Energie in unvorstellbaren Mengen verschwendet, ohne daß ein Bewußtsein dafür entstünde.

Nur Präsident Jelzin hielt es hingegen für nötig, wenigstens ein paar beschwichtigende Worte an die Opfer der Katastrophe zu richten. „Wir müssen zugeben, für sie bei weitem nicht genug getan zu haben. Ich halte es für die wichtigste Aufgabe des Staates, seine Verpflichtungen gegenüber den Tschernobyl-Opfern zu erfüllen.“ Gesagt und vergessen. Klaus-Helge Donath