„Sie können anfangen, ihre Felder zu bestellen“

■ Nach Ankunft in Mugusa wollen die Heimkehrer weiter auf ihre Bauernhöfe

Das erste Mal hält der Lastwagen etwa zehn Kilometer nördlich von Butare. Sofort kriechen Flüchtlinge aus dem überfüllten Fahrzeug des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hervor: zwei alte Männer, einige Frauen, mehrere Kinder. „Sie sind allein, man folgt ihnen nicht. Wir wissen nicht, wohin sie gehen, vielleicht nach Hause“, erklärt eine ruandische Frau, die im Fahrerhaus neben dem Chauffeur und Soldaten der Regierungsarmee sitzt. Was sie dort tut, bleibt unklar. Sie erzählt nur knapp, sie habe um „eine Mitfahrgelegenheit“ gebeten.

Plötzlich geht alles ganz schnell, die Flüchtlinge biegen von der Hauptstraße ab. In wenigen Sekunden haben hohe grüne Stauden auf den Feldern sie den Blicken entzogen. Auch der Lastwagen verläßt die geteerte Straße, die von Butare nach Norden in die Hauptstadt Kigali führt. Etwa 30 Kilometer geht es nun auf regenverschlammten Seitenwegen durch Bananenhaine und an Lehmhütten entlang. Dann ist das Ziel erreicht, ein niedriger Backsteinbau mit gefliestem Vorhof: das Gemeindebüro des Ortes Mugusa.

Zunächst scheint sich niemand in Mugusa für die Ankunft der 83 Flüchtlinge, meist Frauen und Kinder, zu interessieren. Weder internationale Hilfsorganisationen noch UNO-Vertreter empfangen die erschöpften Heimkehrer, die eine mehrtägige Odyssee hinter sich haben: vom aufgelösten Lager Kibeho über die Sportarena in Butare bis hierher nach Mugusa, einer Gemeinde mit etwa 35.000 Einwohnern, auf deren Hügeln die Neuankömmlinge früher gelebt haben. Früher – also vor Beginn des Völkermordes.

Stumm kauern sich die Rückkehrer auf den Boden und warten. Es dauert nicht lange, bis der Bürgermeister mit einigen Beamten eintrifft: Die Erfassung der Neuankömmlinge beginnt. „Insgesamt sind heute etwa 1.300 gekommen“, erklärt Bürgermeister Justin Semauyenzi. „Bisher haben wir zehn verhaftet, nur Männer.“ Er sagt es lächelnd, so als schildere er ein nicht weiter bemerkenswertes Naturereignis wie einen Regenguß.

In einer anderen Gemeinde sollen 1.100 Heimkehrer verhaftet worden sein. „Wir haben bisher keinerlei Benachrichtigung über Verhaftungen von Rückkehrern“, erklärt in Butare ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes, das seit Monaten Häftlinge in den überfüllten Gefängnissen des Landes betreut. „Wir hoffen, daß wir bald informiert werden.“

Weshalb haben sich Flüchtlinge, die Grund hatten, Verhaftungen zu fürchten, nicht über die Grenzen in Nachbarländer durchgeschlagen? Warum kehren sie überhaupt in ihre Heimatdörfer zurück? „Die Männer haben wohl gewußt, daß es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Ihre Frauen und ihre Kinder müssen zurück auf ihre Höfe. Sie können sonst nirgendwo hin“, meint der Bürgermeister von Mugusa. Die Häuser stünden leer und den Heimkehrern zur Verfügung. „Sie können wieder anfangen, ihre Felder zu bestellen.“ In der ersten Zeit müssen die Neuankömmlinge allerdings wohl vor allem von Bananen leben: „Hierher ist kein Sack mit Hilfsgütern gekommen, hier gibt es keine ausländische Organisation“, erklärt Bürgermeister Semauyenzi. „Die haben ihre eigenen Vorstellungen. Denen scheint es lieber zu sein, daß die Leute in den Camps bleiben, wo sie sie in aller Ruhe versorgen können.“

Die meisten Heimkehrer haben noch einen mehrstündigen Fußmarsch bis zu ihren Bauernhöfen vor sich. Die Dunkelheit bricht herein, fast alle werden die erste Nacht auf dem gefliesten Boden verbringen – ohne Matratzen, Decken, Nahrung oder Zelte. Goretti Mukasangwa gehört zu den wenigen, die noch am selben Abend nach Hause wollen. Das Haus ihres Vaters liegt nur etwa eine Stunde entfernt. „Ich habe keine Angst, hierher zurückzukommen, denn ich weiß, daß ich nichts Schlimmes getan habe“, sagt die 23jährige.

Mittlerweile ist es voller geworden vor dem Gemeindebüro. Einige Dutzend Dorfbewohner sind gekommen und beobachten die Neuankömmlinge, Begrüßungen finden nicht statt. Mehr als 150 Männer, Frauen und Kinder haben sich insgesamt hier versammelt. Es ist so still, daß die Hustenanfälle einer Flüchtlingsfrau wie ruhestörender Lärm wirken.

Schon bald sollen die Gemeinden mit Hilfsgütern versorgt werden, haben ausländische Organisationen versprochen. Die Bürgermeister sollen gemeinsam mit der Polizei und Militärvertretern die Verteilung regeln. Und wer überprüft, daß die Hilfe die wirklich Bedürftigen erreicht? „Alles, was wir bisher ausgegeben haben, ist offenbar korrekt verteilt worden“, erklärt Alessandro Bolzini vom UNHCR in Butare. Im jetzigen Chaos sei eine Überprüfung der Verteilung aber nicht möglich.

Diejenigen, die Mugusa erreicht haben, sitzen nun schon mehr als eine Stunde vor dem Gemeindebüro. Noch immer hat keiner der Dorfbewohner mit ihnen gesprochen. „Ich habe doch Angst“, flüstert Goretti Mukasangwa. „Der Krieg ist noch nicht vorbei.“