RAF-Gefangener Lutz Taufer im „Celler Loch“

■ Zwanzig Jahre nach dem RAF-Überfall auf die Botschaft in Stockholm kommt das Kommandomitglied Lutz Taufer frei / Dellwos Entlassung verzögert sich

Berlin (taz) – Zwanzig Jahre und zwei Tage nach seiner Festnahme verließ Lutz Taufer gestern den Knast in Celle als freier Mann. Am Vortag hatte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf die vorzeitige Freilassung des zu lebenslanger Haft verurteilten RAF-Gefangenen verfügt. Weil in dem Beschluß kein Entlassungstermin genannt ist, ging am Ende alles hopplahopp. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verzichtete per Fax auf ihr Widerspruchsrecht gegen die Entscheidung, Taufer packte noch am Abend seine Sachen und verabschiedete sich hektisch bei den Mitgefangenen.

„Überfallartig rausgeschickt“, kommentierte Karl-Heinz Dellwo die Umstände der Entlassung seines Genossen. Dellwo, der wie Taufer zum „Kommando Holger Meins“ gehört hatte, das am 24. April 1975 die Deutsche Botschaft in Stockholm überfiel, hofft auf seine Freilassung innerhalb der nächsten Wochen. Offenbar sei es „nicht erwünscht gewesen, daß wir zusammen rauskommen“, meinte Dellwo. Ein Sprecher des OLG Düsseldorf erklärte, der Entlassungsantrag von Dellwo sei „im Augenblick noch nicht ganz entscheidungsreif“, ein Beschluß werde jedoch „möglicherweise im Mai“ ergehen. In der Bundesanwaltschaft hieß es zu der Verzögerung, der Fall Dellwo sei „ein kleines bißchen anders gelagert“ als der Fall Taufer. Im Hintergrund der kryptischen Formulierung stehen nach Informationen der taz zwei Gutachten des Aachener Psychiaters Henning Saß zu Taufer und Dellwo. Darin wird zwar die Entlassung beider Gefangener im Prinzip befürwortet, gleichzeitig schlägt der Gutachter jedoch vor, bei den Bewährungsauflagen Unterschiede zu machen. Diese Differenzierung hat wiederum zu „Rückfragen“ bei Dellwo geführt, unter anderem über seinen Wohnsitz im Falle der Freilassung. Der Betroffene nimmt es nicht allzu schwer: die üblichen „bürokratischen Verzögerungen“.

Das sechsköpfige „Kommando Holger Meins“ war 1975 mit dem Versuch gescheitert, 26 RAF-Gefangene aus deutschen Hochsicherheitsgefängnissen freizupressen. Im Verlauf des Überfalls auf die diplomatische Vertretung tötete die Gruppe zwei Botschaftsangehörige. Auch zwei der RAF- Aktivisten kamen ums Leben. 1977 verurteilte das OLG Düsseldorf die vier überlebenden Kommandomitglieder zu lebenslänglicher Haft. Bundespräsident Richard von Weizsäcker begnadigte vor einem Jahr den erkrankten Gefangenen Bernd Rössner. In Lübeck sitzt Hanna Krabbe, in Stockholm ebenfalls Kommandomitglied, weiter in Haft. Das Entlassungsverfahren im Fall von Taufer und Dellwo läuft schon seit Ende 1992. Damals hatte Dellwo für sich, Taufer, Krabbe und drei andere Gefangene erklärt: „Keiner von uns wird nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren.“

Als sich das Gefängnistor gestern vormittag hinter Lutz Taufer schloß, wartete draußen trotz der plötzlichen Entlassung bereits ein kleines Empfangskomitee von rund 40 Freundinnen und Freunden auf ihn. Anschließend ging es in eine Kneipe. Name der Lokalität: „Celler Loch“. Gerd Rosenkranz