„Wir sitzen da und spielen Schwarzer Peter“

■ Interview mit Matthias Klipp, Baustadtrat im Prenzlauer Berg, über Wohnungsleerstand in seinem Bezirk und den Vorwurf, er würde zu wenig Zwangsmaßnahmen verhängen

taz: Herr Klipp, tun Sie nicht genug für die Leerstandsbeseitigung?

Matthias Klipp: Sie spielen auf das taz-Interview mit dem Leiter des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Hugo Holzinger, an (vgl. taz v. 25.4.). Ich möchte Herrn Holzinger nicht öffentlich angreifen, weil ich auch weiterhin auf das Wohlwollen seiner Behörde dringend angewiesen bin. Doch die sehr flache Sicht auf die Dinge wundert mich sehr.

Gibt es denn keinen dramatischen Wohnungsleerstand?

Wir haben im Prenzlauer Berg in den letzten Jahren eine ganze Menge Leerstand abgebaut. Wir haben uns von 8.000 bis 10.000, genau ist das nicht mehr festzustellen, auf rund 2.000 leerstehende Wohnungen heruntergearbeitet. Die Hälfte davon befindet sich im Bau oder ist in öffentlichen Förderprogrammen enthalten. Wir reden also über einen Restbestand von rund 1.000 Wohnungen, bei denen uns ungeklärte Eigentumsverhältnisse oder die ungeklärte Finanzierung der Instandsetzungsmaßnahmen Sorge bereiten.

Wie läßt sich dieser Leerstand beseitigen?

Die wichtigste Frage ist für mich: Kann das Land Berlin kurzfristig die Eigentumsverhältnisse klären oder die Verfügungsberechtigten in die Lage versetzen, Förderprogramme oder Kredite in Anspruch zu nehmen? Ist dies nicht möglich, dann frage ich, ob das Land Berlin auch in Zukunft trotz angespannter Haushaltssituation bereit ist, notfalls auch bei ungeklärten Eigentumsverhältnissen die Leerstandsbeseitigung zu 100 Prozent zu fördern – selbst wenn ich diese Mittel bei Rückübertragung nicht oder nicht vollständig wiederbekomme. Das ist eine politische Frage.

Warum greifen Sie nicht zu Zwangsmaßnahmen?

Hier wird doch ein falsches Spiel gespielt. Bausenator Nagel ruft die Bezirke auf, bei Leerstand gegen die Wohnungsbaugesellschaften vorzugehen, weil deren Klagen unberechtigt seien. Die Bezirke wurden jedoch von seiner Behörde angewiesen – Zitat – „eventuelle Ordnungswidrigkeiten gegen Wohnungsbaugesellschaften wegen Leerstands bei restitutionsbefangenen Grundstücken zunächst hinauszuziehen, da seitens der Wohnungsbaugesellschaften Protest beim Senator für Bauen und Wohnen erhoben wurde“.

Bliebe also ein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot.

Dieses Gebot ist doch schizophren. Das macht man bei einem Eigentümer, der nicht willig ist. Bei vielen leerstehenden Häusern kennen wir den Eigentümer überhaupt nicht. Sie werden von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft notverwaltet. Wenn ich aber gegen mich selbst als Land Berlin ein Gebot erteile, dann kann ich die Instandsetzung oder Modernisierung auch gleich öffentlich fördern. Wenn mir die Leerstandsbeseitigung wichtig ist, dann muß ich mich das jetzt noch mal 30 bis 40 Millionen Mark kosten lassen. Dann muß sich die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen aber bereit erklären, notfalls die Maßnahme mit 100 Prozent zu finanzieren.

Der Bezirk und der Senat müssen eventuell vorfinanzieren...

...aber ob wir das Geld wiederbekommen, ist doch vollkommen offen. Die nächsten fünf bis zehn Jahre kann man die Mittel in jedem Fall abschreiben.

Was ist mit den 700 Millionen aus dem Landeshaushalt?

Das ist die typische Sicht eines Überfliegers. Erstens bekommt der Bezirk Prenzlauer Berg davon nur 70 Millionen Mark. Und die sind doch untersetzt mit dringenden Objekten. Wenn ich da jetzt ein neues Haus reinnehme, muß ich ein anderes rausschmeißen.

Sollte die Priorität dabei nicht Instandsetzung und Leerstandsbeseitigung sein?

Bei Prioritäten muß man aber auch über die Kosten reden. Bei den Häusern, die jetzt im Prenzlauer Berg noch völlig leerstehen, liegen die Kostenschätzungen für die Instandsetzung zum Großteil oberhalb von 3.000 Mark pro Quadratmeter. Das sind Ruinen.

Aber es gibt auch einzelne Wohnungen, die sofort beziehbar wären oder mit geringem Aufwand instand gesetzt werden könnten?

Das ist ein wirkliches Problem. Da hat es sich die Wohnungsbaugesellschaft WIP offenbar zu einfach gemacht. Was sich deren Tochtergesellschaft, die Optima, zum Beispiel in der Dunckerstraße 74 geleistet hat, das kann man nicht hinnehmen. Bislang hatten wir gedacht, wir könnten uns auf die Angaben einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft verlassen. Aber wir werden jetzt dort trotz der Anweisung der Senatsverwaltung in einigen Fällen Zwangs- und Bußgelder verhängen. Dann sind wir aber mal gespannt, wie sich der Senat verhält, wo doch der Gesellschafter der WIP wiederum das Land Berlin ist. Hier versucht jeder, seine Verantwortung wegzuschieben. Anstatt daß sich alle an einen Tisch setzen, spielen wir „Schwarzer Peter“.

Also passiert nur etwas, wenn die Betroffenen zur Selbsthilfe greifen und die Wohnungen notfalls besetzen?

Ich habe die Aktionen der Betroffenenvertretung sehr unterstützt. Letztlich hat deren Nachhaken dazu geführt, daß wir darauf aufmerksam wurden, welches Spielchen die WIP und die Optima mit uns getrieben haben. Wenn Häuser entmietet werden, sind wir auf die Hinweise angewiesen. Ich habe auch Besetzungen immer als ein politisches Mittel verstanden, um auf Mißstände aufmerksam zu machen. Aber Besetzungen können kein Mittel der Wohnraumbeschaffung sein. Wer besetzt, kann nicht damit rechnen, automatisch einen Mietvertrag zu bekommen. Interview: Christoph Seils