Irreführende Bildunterschrift

■ betr.: „Befreiung, fünfzig Jahre da nach“, taz vom 25. 4. 95

Zum guten Artikel über die Beurteilung des Kriegsendes in Österreich wurde ein Photo gedruckt, auf dem drei auf Parkbänken sitzende und liegende Leichen abgebildet sind, denen eine Reihe von grimmig zu Boden blickenden sowjetischen Soldaten und Offizieren gegenüberstehen. Die irreführende Bildunterschrift „Selbstmord einer deutschen Familie Anfang 1945 in Wien bei der Ankunft der Roten Armee“ suggeriert unausgesprochen, hier hätten drei Menschen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den besiegten Deutschen und aus Furcht vor den Siegern Selbstmord begangen. Allerdings zeigt eine weitere Aufnahme des gleichen Photographen, Jewgeni Chaldej, aus leicht verändertert Perspektive aufgenommen, eine vierte Leiche, dort am Boden liegend, wohin die Rotarmisten blicken. Dies ist der Vater und Ehemann der Toten auf den Bänken, die er – obwohl diese sich teils wehrten – erschoß, ehe er sich selbst umbrachte. Am Revers seines Mantels ist deutlich das goldene Parteiabzeichen der NSDAP zu erkennen! Chaldej zitiert einen der abgebildeten Soldaten [General Sachwatajew d.Red.] mit den Worten: „Ich bin von Stalingrad bis hierhergekommen, aber eine solche Tragödie habe ich noch nicht erlebt.“ Nachzulesen wäre dies im Bildband „Von Moskau bis Berlin“ des erwähnten Photographen gewesen, letztes Jahr auf deutsch erschienen. Peter Steinkamp, Freiburg

Anmerkung der Les.Red.: Der Text im Bildband ist überschrieben mit „Selbstmord eines Nationalsozialisten und seiner Familie, Wien, Anfang 1945“. Von einem Selbstmord der drei in der taz abgebildeten Personen kann man nach Lektüre des gesamten darunter stehenden Textes aber wohl nicht ausgehen. Es steht dort: „[...] Ich fotografierte das Ganze mit allen Details. Ein Wachposten kam aus dem Parlamentsgebäude gerannt und stammelte: ,Er, er hat es getan. Nicht russische Soldaten. Er kam um sechs Uhr morgens. Ich sah ihn und seine Familie vom Keller aus. Weit und breit war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Er stellte die Bänke zusammen und sagte zu der Frau: >Setz dich!< Dann dasselbe zu dem Jungen und dem Mädchen. Ich begriff nicht, was er vorhatte. Dann erschoß er zuerst die Mutter, danach den Sohn. Das Mädchen weinte und sagte: >Nein, nein!< Er legte es auf die Bank und erschoß es auch. Dann ging er zur Seite, sah sich an, was er angerichtet hatte und erschoß sich selbst.‘[...]“