„Bürgers help Bürgers“

Ausstellung im Rohbau des Jüdischen Museums / Das Provisorium als lebendiger Ort / Solidarität mit Sarajevo  ■ Von Katrin Bettina Müller

Fast immer geht im Museum eine Geschichte zu Ende. Fast immer wird Bilanz gezogen unter dem Schlußstrich einer historischen Epoche. Die erste Ausstellung des Jüdischen Museums im Rohbau des von Daniel Libeskind entworfenen Gehäuses dagegen widmet sich einem ungelösten Konflikt der Gegenwart: „Über Leben in Sarajevo. Eine Jüdische Gemeinde hilft ihrer Stadt.“

Kalt, durchdrungen vom Baulärm und feucht ist es in den Kellern der Rohbaus, dessen Form eines auseinandergerissenen Sterns von außen schon ablesbar ist. Zwischen den nackten Betonmauern der spitzwinkligen Räume im inneren Labyrinth dagegen verliert man bald die Orientierung. Hier hängen die Bilder des amerikanischen Fotografen Edward Serotta, der vor 10 Jahren begann, Jüdische Gemeinden in Ost- und Mitteleuropa aufzuspüren. Eigentlich habe er ein Buch über die „letzten Juden“ dort geplant, erzählt er, „aber letzte Juden besuchen keine jüdischen Gymnasien“. An diesen Einrichtungen der oft kleinen Gemeinden in Prag, Krakau oder Budepest erfuhr er die Vitalität jüdischer Kultur und machte sich die Philosophie zu eigen, „numbers don't count“.

Auch in Sarajevo zählte die Jüdische Gemeinde 1992 bei Ausbruch des Krieges in Bosnien nur 1.200 Mitglieder. Im Mittelpunkt der in zehn Kapitel gegliederten Bilderzählung Serottas steht die humanitäre Hilfsorganisation La Benevolencija, die Ende des 19. Jahrhunderts von aus Spanien stammenden Juden gegründet wurde. Seit ihre Wiederbelebung 1992 arbeiten in ihr Juden, Christen, Moslems, Serben und Kroaten zusammen. Wir sehen den Koch Tzitzko in seinem riesigen Bottich rühren, wir sehen die beiden Jungen Denis und Radoslav riesige Kanister schleppen oder eine alte Frau Briefe auf der Poststation lesen, die die Jüdische Gemeinde eingerichtet hat. „Wir sind die Verrückten, die andere überzeugen möchten, daß hier Leben möglich ist“, stellt sich Ivan Ceresnjes von La Benevolencija auf der Pressekonferenz vor. Die Sorge um die tägliche warme Mahlzeit, um medizinische Hilfe oder den Kontakt nach außen, bindet an das Leben. So zeigen die Bilder die konkrete Hilfe auch als moralischen Schutzschild gegen eine vom Krieg verkürzte Wahrnehmung, die Menschen nur noch als Opfer oder Täter sehen kann.

Dies sei keine Ausstellung über den Krieg, sondern „how Bürgers help Bürgers in times of desaster“ betont Ammon Barzel, der kosmopolitische Direktor des Museums. Seine Arbeit noch vor dem Eintreffen der historischen Dokumente über die jüdische Kultur in Berlin, auf deren Verwaltung sich nach Meinung der Stadtväter und Museumsstifter seine Aktivität beschränken sollte, zu beginnen, ist durchaus provokativ gemeint. Mit der Eröffnung der Ausstellung im Rohbau pocht er auf ein der Gegenwart zugewandtes Konzept.

Der provisorische Ort gewinnt in der Ausstellung bald eine symbolische und inhaltliche Qualität. Denn in den Raum, den die unfertige Architektur der Vorstellung läßt, dringt mit den Fotos eine Geschichte, in der die Fähigkeit, sich auf ein Provisorium einzulassen zur lebensnotwendigen Voraussetzung wird. So wie zwischen den Trümmern der Stadt Menschen sichtbar werden, die allein noch ihre Identität bilden, scheint das Museum im Rohzustand seinen humanitären Kern offenzulegen.

Vor einem Jahr gründete sich in Berlin die Gruppe Benevolencija Deutschland e.V., um die Hilfsorganisation in Sarajevo zu unterstützen. Sie hoffen, über die Ausstellung die belagerte Stadt Sarajevo wieder mehr ins öffentliche Bewußtsein gerückt zu sehen, um Spenden zu sammeln und weitere Mitarbeiter zu finden.

„Über Leben in Sarajevo“ Rohbau des Jüdischen Museums, bis 4. Juni, Mo.-Fr. 17-21 Uhr, Sa. und So. 11-19 Uhr