Im Tölt ans Ende der Welt

Schonende Naturnähe: Pferdetrekking in Island  ■ Von Ulrike Klausmann

Islands zierliche, robuste Pferde mit dem zotteligen Fell und den langen Mähnen sind berühmt für ihre Ausdauer und für ihren speziellen Gang: den Tölt. Im Tölt können die Pferde in hohem Tempo lange Strecken zurücklegen, ohne zu ermüden. 14 Tage dauert unser Wanderritt durch das fast unbewohnte Landesinnere im Westen Islands. 14 Leute und 35 Pferde haben sich schnellen Schrittes auf den Weg gemacht. Jeder hat zwei Tiere zur Verfügung. In diesem Land, wo auf vier Einwohner ein Pferd kommt, ist es üblich, mit zwei Pferden pro Person auszureiten. Ist das eine ermüdet, so wird gewechselt. Beim mehrtägigen Wanderritt laufen die Zweitpferde und die Packpferde mit dem Proviant im Herdenverband mit.

Am ersten Tag können wir die saftiggrüne Hügellandschaft noch nicht recht genießen. Zu sehr ist jeder damit beschäftigt, sich mit der ungewohnten Gangart des Pferdes vertraut zu machen. Doch irgendwann fällt der Groschen; wir sitzen entspannt im Sattel und atmen die nach Kräutern riechende Luft ein. Schroffe Felswände mit Wasserfällen fliegen vorüber. Am Horizont zeichnen sich Vulkanberge mit weißen Schneefeldern ab. Wagemutig und mit einer unglaublichen Trittsicherheit laufen die Pferde über Felsbrocken, Hänge rauf und runter, über Geröllhalden und durch wilde Schluchten und Flüsse.

Außer uns kein Mensch weit und breit. Nur ein paar Schafe lassen sich hin und wieder blicken und schauen uns neugierig an. Wenn der Boden zu sumpfig wird, müssen wir absteigen und, das Pferd am Zügel führend, zu Fuß weitergehen. Lederstiefel sind in Island fehl am Platz. Und auch einige Regeln, die man in unseren Reitschulen lernt, gelten in Island nicht, wie zum Beispiel die Regel, nur von links auf- und abzusteigen. Denn es kann durchaus mal vorkommen, daß man an eine Schlucht gerät, wo links der Berg hundert Meter tief abbricht und unten ein reißender Fluß nur darauf zu warten scheint, daß mal einer versucht, nach alter Schule abzusteigen.

In der Hochlandhütte Lonaborg übernachten wir. Drei kleine Gebäude aus Wellblech stehen mitten im Moorgebiet, umgeben von unzähligen Seen. Tiefe Stille liegt über der Heidelandschaft. Bevor wir uns schlafen legen, gehen wir im diesigen Halblicht einer nordischen Sommernacht zu den Seen, wo wir die Fangnetze auslegen. Eistaucher und Schwäne schrecken auf. Morgen gibt es gegrillte Lachsforellen.

Island entdeckt den Tourismus

Über einen erkalteten Lavastrom geht es weiter Richtung Süden. Die bizarre Landschaft ist bevölkert von seltsamen Steinmonstern. „Das sind erstarrte Trolle“, erklärt unser Begleiter Arinbjörn. Trolle sind jene unbändigen Fabelwesen, die nachts aus der Erde kommen und allerlei Unsinn anrichten. Wenn sie bei Tagesanbruch nicht rechtzeitig verschwunden sind, bleiben sie versteinert an der Oberfläche.

Arinbjörn Johannsson organisiert und leitet diesen Wanderritt mit seinen Pferden. Überall kennt er Bauernhöfe, Gemeindezentren oder Feriensiedlungen, wo man gut übernachten oder reichlich und typisch isländisch essen kann.

Arinbjörn lebt auf seinem Hof Brekkulaekur, einem alten Bauerngehöft im Nordwesten Islands. In der kurzen Saison von Juni bis August beherbergt er Gäste aus Europa, die von hier aus ihre Island-Wanderung beginnen, zu Pferd, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Vor 15 Jahren war er noch der einzige, der Pferdtrekking-Touren durchführte, heute kommen immer mehr Isländer auf diese Idee.

Inzwischen sind wir in Husafell angelangt, einer kleinen Feriensiedlung mit winzigen Sommerhäusern aus Holz. Im Schwimmbad, das aus heißen Quellen gespeist wird, bringen wir unsere müden Lebensgeister wieder auf Trab. Schwimmbäder sind in Island eine wichtige Begegnungsstätte. Wie man andernorts in die Kneipe geht, so treffen die Isländer sich im warmen Pool. Was sollten sie auch in einer Kneipe? Alkohol ist hier rar und sündhaft teuer. Und wenn man mit dem Dorfpfarrer oder der Bürgermeisterin in einem dampfenden Becken zusammen schwitzt, kommt man mindestens genauso schnell ins Gespräch wie bei ein paar Gläsern Bier.

Früher war Husafell ein Bauerngehöft mit 200 Schafen. Seit einigen Jahren hat der Besitzer den Tourismus entdeckt. Sein neuestes Projekt ist der Wintersport auf dem nahe gelegenen Langfelsjökull, dem zweitgrößten Gletscher Europas. Wer von der Stille und Einsamkeit Islands genug hat und sich nach Lärm und Benzingestank sehnt, kann hier mit der Schneekatze oder einem Snow-Scooter über die 953 Quadratkilometer große Eisscholle brettern.

Der mysteriöse Snaefellsness

Die Isländer investieren in das Tourismusgeschäft und versuchen, durch neue Attraktionen die dreimonatige Saison auszudehnen. Die Hotel- und Restaurantpreise hier sind vergleichbar mit denen in der Schweiz. Die vierzehntägige Reittour kostet über 3.000 Mark. In unserer Gruppe reiten Studentinnen, eine Gärtnerin und eine Rentnerin mit. Alle sind fasziniert von der unendlichen Weite des Landes und von dem einmaligen Erlebnis, mit einer Herde freilaufender Pferde unterwegs zu sein.

Für zwei Tage haben die Pferde jetzt eine Pause. Während sie sich auf einer saftigen Weide erholen, fahren wir mit dem Bus auf die mysteriöse Halbinsel Snaefellsness. Auf dem schwarzen Strand zwischen Mondlandschaften und scharfkantiger Lava fällt eine Schar keifender Seeschwalben über uns her. Tausende von Möwen drängeln sich auf den Vogelfelsen bei Arnarstapi.

Die Halbinsel wird überragt von Snaefellsjökull, dem schneebedeckten Vulkan, über dessen Eishaube der isländische Schriftsteller Halldor Laxness geschrieben hat: „Wenn man den Gletscher lange genug ansieht, hören Wörter auf, auch nur das Geringste zu bedeuten.“ Unser Begleiter, der diese Ecke Islands wie seine Westentasche zu kennen scheint, führt uns zu Höhlen, Gletscherschluchten, in Piratennester und in ein Restaurant, wo es den köstlichsten Lachs der Insel gibt. Jeder Erdhügel auf der Halbinsel, jeder Stein erzählt eine Geschichte über Elfen, Trolle und Zauberinnen.

Wieder im Sattel, reiten wir in zwei Tagesetappen zurück zum Hof Brekkulaekur. Ausgeruht und die Nähe des heimatlichen Hofes witternd, laufen die Pferde immer schneller über Bergrücken und Moränenhügel gegen den eiskalten Wind. Es bleibt kaum Zeit, sich zu vergegenwärtigen, daß dies eine historische Strecke ist, auf der schon die Helden der mittelalterlichen Islandsaga auf ihren Wunderpferden dem Schicksal entgegenritten.

Informationen über Reisen zu Pferd, Fuß oder Fahrrad: Deutsches Jugendherbergswerk, Islandexpertin Astrid Reis, Pf 1455, 32704 Detmold, Tel. 05231/ 7401-14, Fax: 05231/ 7401-49; Arinbjörn Johannsson, Brekkulaekur, IS-531 Hvammstangi, Tel.: 003545/12938, Fax: 003545/12998